Generationenvertrag gefährdet
Mit Bildung die Sozialversicherung retten
Der Generationenvertrag hat Schlagseite bekommen. Das Problem ist die Alterung der Gesellschaft. Experten sehen deswegen das Vertrauen in die Sozialsysteme gefährdet - und fordern mehr Bildung.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Generationenvertrag in Deutschland hat Schlagseite: Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung fordert in der am Montag vorgestellten Studie "Die Zukunft des Generationenvertrags" Familien zu entlasten und mehr Investitionen "von der Kinderkrippe bis zur Ganztagsschule.
Bildung sei die entscheidende Voraussetzung, um langfristig das Sozialsystem finanzieren zu können. Zudem sollten die Altersgrenzen beim Renteneintritt analog zur wachsenden Lebenserwartung schrittweise erhöht werden.
Der Generationenvertrag als Metapher für die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Kindern, Erwerbstätigen und Rentnern gerät durch die demografische Alterung immer stärker unter Druck.
Seit Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 ist die Altenversorgung aus dem familiären Generationenvertrag auf eine Kollektivebene übertragen worden, die Kosten von Kindererziehung und -betreuung sind aber bis heute Privatsache. Kinder sind für den Fortbestand des Generationenvertrags aber unverzichtbar: Das gilt für die Rentenversicherung wie für die anderen Sozialversicherungszweige auch.
"Der ‚Ertrag‘ von Kindern ist sozialisiert, während die Kosten weiterhin privatisiert bleiben", kritiseren die Autoren: Damit wird durch die Sozialversicherungen nicht nur zwischen Generationen umverteilt, sondern auch zwischen den Mitgliedern einer Generation: Von - insbesondere kinderreichen - Familien zu Kinderlosen.
Bildung als zentrale Stellschraube
Die heutige Elterngeneration kann - bedingt durch die Kindererziehung - weniger erwerbstätig sein und muss doch in Zukunft deutliche Leistungsabschläge in der Rentenversicherung im Vergleich zur heutigen Rentnergeneration hinnehmen.
Das ist Sprengstoff für den Generationenvertrag: Denn dieser gründe auch auf dem Vertrauen der heutigen Nettoeinzahler. "Ist das Vertrauen in das Rentensystem erst einmal erschüttert, leidet die Bereitschaft zur Solidarität und dies gefährdet die Sozialsysteme selbst", heißt es.
Als zentrale Stellgröße, um die Schieflage des Generationenvertrags wenigstens zu lindern, sehen die Autoren Bildung an. Zum einen mache ein hohes Bildungsniveau längere Lebensarbeitszeiten überhaupt erst möglich. Zum anderen entlastet eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung Familien und erhöht zudem auch die Leistungsfähigkeit der nachwachsenden Generation.
Dabei könne sich eine verbesserte Kinderbetreuung durch eine höhere Erwerbsbeteiligung - vor allem der Mütter - überwiegend selbst finanzieren, betonen die Studienautoren.
Die Versorgungsansprüche der künftigen Rentner seien in umlagefinanzierten Systemen bekanntlich nicht nur einen Kapitalstock gedeckt: "Sie beruhen allein auf der Leistungsfähigkeit der Erwerbsbevölkerung von morgen."
Einen anderen Weg der Entlastung von Familien wird gegenwärtig durch zwei Musterklagen erprobt, die beim Bundessozialgericht anhängig sind (B 12 KR 5/12 R; B 12 KR 6/12 R).
BSG soll Beitragsgerechtigkeit prüfen
Im Januar 2012 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg zwei Musterklagen, in denen Beitragsgerechtigkeit in der gesetzlichen Pflege-, Renten- und Krankenversicherung erstritten werden soll, abgewiesen.
Doch ließ das Gericht wegen der "grundsätzlichen Bedeutung" Revision beim Bundessozialgericht zu. Geklärt sehen wollen die Kläger die Frage, ob es gegen das Grundgesetz verstößt, dass in Rente und Gesetzlicher Krankenversicherung Mitglieder mit Kindern genauso hohe Beiträge zahlen müssen wie Kinderlose.
Die Kläger berufen sich dabei unter anderem auf das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 103, 242) vom April 2001. Darin hatten die Karlsruher Richter es als mit de Grundgesetz unvereinbar angesehen, dass Mitglieder mit und Mitglieder ohne Kinder den gleich hohen Beitrag zahlen.
Der Gesetzgeber hat auf das Urteil mit einem Beitragszuschlag für Kinderlose in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten reagiert. Der Familienbund der Katholiken, der die Klagen unterstützt, verweist darauf, dass Familien durch diese Beitragsdifferenzierung in der gesetzlichen Pflegeversicherung lediglich um sieben Promille ihres gesamten Sozialversicherungsbeitrags "entlastet" würden.