Patiententötung

Mord und Totschlag in deutschen Kliniken?

Eine umstrittene Studie zu lebensbeendenden Maßnahmen in Kliniken und Pflegeheimen erhitzt die Gemüter.

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Tatort Krankenhaus: Eine Studie zum Phänomen Patiententötung sorgt für Aufsehen.

Tatort Krankenhaus: Eine Studie zum Phänomen Patiententötung sorgt für Aufsehen.

© Swen Pförtner / dpa

BERLIN. Unter großem Medieninteresse hat Professor Karl H. Beine von der Universität Witten /Herdecke am Mittwoch sein Buch "Tatort Krankenhaus" vorgestellt, in dem er das Phänomen Patiententötung durch Beschäftigte beleuchtet. Bereits im Vorfeld hatte das Ergebnis einer Studie für große Aufregung gesorgt. Dafür hatte Beine über 5000 Ärzte und Pfleger befragt, ob sie schon einmal aktiv das Leiden eines Patienten beendet hätten. Das bestätigten 3,4 Prozent der Ärzte, 1,8 Prozent der Altenpfleger und 1,5 Prozent der Krankenpfleger. Diese Ergebnisse rechnete Beine auf die Gesamtzahl der in deutschen Krankenhäusern und Heimen Beschäftigten hoch. Ergebnis: 14.461 Fälle in Krankenhäusern und 6857 in Heimen. "Wir reden also über mehr als 21.000 Opfer – in nur einem Jahr", heißt es im Buch.

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Gewagte Rechnung

Beine verteidigte die Studie. Sie lasse nicht auf 21.000 Totschlags- oder Mordfälle schließen. Dazu sei die Frage zu weit gefasst. "Dahinter kann sich Sterbehilfe verbergen oder Tötung auf Verlangen", sagte er. Möglicherweise seien auch palliative Maßnahmen zur Sterbebegleitung enthalten. Beine vertritt die These, dass der ökonomische Druck an deutschen Kliniken für Patiententötungen mit verantwortlich zu machen ist. Pfleger und Ärzte seien überfordert und könnten dem eigenen ethischen Anspruch angesichts fehlender Zeit nicht gerecht werden. Der Leidensdruck könne letztlich in einer Patiententötung münden. Eine weitere Folge des wirtschaftlichen Drucks ist laut Beine, dass Täter oft erst spät gestoppt werden. Er forderte entsprechende Schulungen. Wichtig sei außerdem Achtsamkeit. Warnhinweise wie verbale Entgleisungen müssten ernst genommen werden.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach hält das Buch für sehr wichtig. "Ich teile nicht jede Analyse, aber bisher gab es keine Debatte", sagte Lauterbach. "Es ist ein Debattenbuch, das eine Debatte anschiebt." Er sagte, dass es in Deutschland zu wenige Pflegekräfte gebe. Seiner Meinung nach muss die Entlohnung von Pflegekräften so geändert werden, dass Krankenhäuser das Geld nicht für andere Dinge ausgeben können.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist die Thesen des Wittener Professors zurück. Der Autor unterscheide bei seiner Schätzung offensichtlich nicht zwischen Begleitung von Sterbenden und Töten, so DKG-Präsident Thomas Reumann. "Das ist eine unverantwortliche Behauptung", sagte er zu den hochgerechnet 21.000 Fällen. (tau)

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Kommentare
Doris Wroblewski 30.03.201712:59 Uhr

Rechenfehler?

Wenn ich jemanden befrage, ob er/sie schon einmal aktiv das Leiden eines Patienten beendet hätte, so kann es sein, dass der-/diejenige ein Mal in vielleicht vierzig Dienstjahren darin involviert war.

Wie kann es statistisch relevant sein, dass die Antworten der Befragten auf den Zeitraum von einem Jahr hochgerechnet werden?

Das zweite, was mir auffällt ist die Schlussfolgerung, dass es aus wirtschaftlichen Gründen passieren kann. "Beine vertritt die These, dass der ökonomische Druck an deutschen Kliniken für Patiententötungen mit verantwortlich zu machen ist. Pfleger und Ärzte seien überfordert und könnten dem eigenen ethischen Anspruch angesichts fehlender Zeit nicht gerecht werden."
Zum Glück werden auch "Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen" als mögliche Gründe angegeben.

Ist es nicht so, dass wir in den Familien verlernt haben, mit dem „Abschied nehmen“ eines lieben Menschen menschenwürdig umzugehen? Wir haben keine Zeit und schieben unsere Verantwortung an Kliniken und Pflegeheime ab, vertrauen dem Können von Ärzten, die wiederum, gebunden an den Hippokratischen Eid, alles unternehmen müssen, um die Betroffenen am Leben zu halten.

Es ist und bleibt ein Dilemma. Eigentlich wollen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, nur helfen, aber sie sehen oft gleichzeitig, dass die Menschen unter ihrer lebensverlängernden Hilfe nur leiden.
Ich möchte nicht in der Zwangslage stehen, dann Entscheidungen treffen zu müssen. Aber deswegen gleich von "Tatort Krankenhaus" zu sprechen, halte ich für sehr gewagt. Meiner Meinung und Hoffnung nach wird es sich in den wenigsten Fällen um eine bewusste kriminelle Tat handeln.

Ulrich Schuler 30.03.201711:27 Uhr

Neben der Spur

So sehr ich frühere Stellungnahmen zu dem Themenkomplex von Herrn Beine schätze, ich glaube hier liegt er fernab der Realität. Die methodische Qualität der "Studie" ist leider nicht geeignet, die Zahlen auch nur annähernd zu begründen.

Sehr informativ ist ein Artikel der heute dazu in der ZEIT erscheinen ist (ZEIT Nr. 14/2017) und zu einer eher skeptischen Beurteilung kommt, was das Buch angeht.
http://www.zeit.de/2017/14/krankenhaeuser-tote-patienten-ursachen-karl-beine

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