Kriminalität in der Medizin

NAV contra AOK

Schwerpunktstaatsanwaltschaften fordert Jürgen Graalmann, Chef der Bundes-AOK. Die müssten auch gegen Kassen ermitteln, kontert der NAV-Virchowbund.

Veröffentlicht:

BERLIN. Der Umgang mit Fehlverhalten im Gesundheitswesen und seine Kriminalisierung ärgert Ärztefunktionäre.

Zuletzt ist dies dem Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundsverbandes, Jürgen Graalmann, in einem Interview der "Frankfurter Rundschau" mit seiner Forderung nach flächendeckenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften gelungen, die sich auf Fehlverhalten im komplexen Gesundheitswesen spezialisieren sollten.

Darauf erfolgte prompt eine harsche Replik des Vorsitzenden des NAV-Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. Graalmanns Forderung komme von einer Organisation, "die mit solchen Aussagen nur vom illegalen eigenen Treiben ablenken will".

Denn nach einem Report der DAK entfielen 87 Prozent aller Korruptionsfälle im Gesundheitswesen nicht auf Ärzte. Schwerpunktstaatsanwaltschaften würden sich demnach auch mit Fehlverhalten von Kassen befassen.

Als Beispiele für unkorrektes Verhalten nennt Heinrich die vom AOK-Bundesverband abgeschlossenen Verträge mit Hörgeräteakustikern. Diese widersprächen den Hilfsmittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und machten die vorgeschriebene Qualitätssicherung unmöglich.

Die AOK wolle damit höhere Festbeträge verhindern; der Dumme sei der Patient, der entweder erhöhte Aufzahlungen leisten müsse oder zweifelhafte Qualität bekomme, so der HNO-Arzt Heinrich.

Ein anderes Beispiel sei die Bedrohung Hamburger Hausärzte mit Arzneiregressen durch die AOK.

Diese, so berichtet die Allgemeinärztin Dr. Silke Lüder, fordere Ärzte bei der Verordnung von teuren Asthma-Medikamenten auf, aus einer Verdachtsdiagnose auf Asthma eine gesicherte Diagnose (mit entsprechender Wirkung erhöhter Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich) zu machen. Andernfalls drohe ein Regress wegen Off Label Use. (HL)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 16.04.201314:46 Uhr

Wer kriminalisieren will, sollte nicht zu unterlassener Hilfeleistung aufrufen!

Die KKH Allianz hatte für das Jahr 2011 in ihrem GKV-Geschäftsbereich eine Gesamtschadenssumme von 934.000 € durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen in 589 Fällen errechnet. Am häufigsten hätten die Physiotherapeuten betrogen. Darauf folgten Apotheken und die häusliche Pflege. Ärzte stünden erst an vierter Stelle - ebenso bei den errechneten Schadenssummen: Stationäre Behandlungen, Apotheken und Physiotherapie führten hier die Liste an. http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/article/806466/lasche-betrugskontrolle-durch-kven.html

Eine Vorab-Kriminalisierung ausgerechnet bei Ärzten mittels Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu fordern zeugt bei Kassen-Funktionären, Politik, Medien und Öffentlichkeit von juristischer Blauäugigkeit: Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben über Ärztekammern und KVen etablierte Möglichkeiten, gegen Korruption, Abrechnungsbetrug und Fehlverhalten im Rahmen von Berufs- und Standesrecht vorzugehen. Ansätze von vergleichbarem Engagement sind bei den anderen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen nicht zu erkennen.

Sollte die AOK Hamburg Regresse wegen Off Label Use bei bloßem V e r d a c h t auf Asthma bronchiale avisieren, offenbart sie damit medizinische u n d juristische Bildungsferne. Denn ärztliches Ignorieren von weiterführender Diagnostik und Therapie bei einer typischen Arbeits- und Verdachtsdiagnose "Asthma bronchiale" käme einer u n t e r l a s s e n e n Hilfeleistung gleich. Wie gut, dass die AOK k e i n e amtliche Heilkunde-Erlaubnis besitzt, sonst müsste die Staatsanwaltschaft tätig werden.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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