Nach Wahlsieg: Bürgerversicherung!
Die Genossen marschieren Seit' an Seit‘ mit ihrem Vorstand und stimmen dafür, das Gesundheitswesen neu zu denken. Die Zauberformel heißt: Solidarische Bürgerversicherung.
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"Bürgerversicherung ist parteiisch." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles stellte beim Parteitag in Berlin das SPD-Modell vor.
© Kahnert / dpa
BERLIN. Nach einer stundenlangen Debatte über die Steuerpolitik hatte es die Bürgerversicherung am frühen Dienstag nachmittag schwer, die Delegierten des SPD-Parteitages zu fesseln. Generalsekretärin Andrea Nahles versuchte es trotzdem.
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"Diese Reform ist parteiisch", donnerte sie mit allem, was ihre Stimme hergab, in den Saal. Diese Reform sei im Interesse der Arbeitnehmer, der Rentner und der mittelständischen Unternehmen.
Die Reform schaffe Gerechtigkeit, indem sie die kapitalintensiven Unternehmen belaste - gemeint waren Banken und Versicherungen -, in denen hohe Boni ausgeschüttet würden.
Deutlich leiser wandte sich der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Professor Karl Lauterbach an die Delegierten.
Köpfe als Kapitaldeckung
Die Probleme des Staatswesens mit der Rente, der Pflege und der Arbeitslosigkeit seien nichts gegen den Kostendruck, der künftig vom Gesunheitswesen ausgehen werde.
"Wir müssen die Krankenversicherung jetzt reformieren, solange wir noch können", sagte Lauterbach. Eine Schlüsselrolle spiele dabei die Bildung.
"Die Köpfe unserer Kinder sind die eigentliche Kapitaldeckung unseres Gesundheitswesens", sagte Lauterbach, der an dem Modell der Bürgerversicherung mitgearbeitet hat.
Zwischen Nahles und Lauterbach hatten einige wenige Rednerinnen und Redner versucht, die Delegierten für eine radikalere Variante einer Bürgerversicherung einzunehmen. Im Kern ging es darum, die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenzen in der Rentenversicherung (5500 Euro) anzuheben.
Dreyer: SPD soll Mehrheiten nutzen
Zudem gab es die Forderung, Beiträge auch auf Mieten und Zinsen zu erheben und nach der Einführung einer Beitragssatzparität. Die Bürgerversicherung sieht eine Summenparität vor. Dabei zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber insgesamt jeweils gleichviel ein.
Alle drei Änderungsanträge lehnten die Delegierten ab. Der Leitantrag "Solidarische Gesundheitspolitik für alle Bürgerinnen und Bürger" des SPD-Parteivorstands fand die überwiegende Zustimmung des Parteitags. Nur wenige Delegierte stimmten dagegen oder enthielten sich.
Nach der Linken und den Grünen hat damit nun auch die SPD ein konkretes Modell einer Bürgerversicherung. Die Gesundheitsministerin von Rheinland Pfalz, Malu Dreyer, forderte die Partei auf, das Ja des Parteitages zur Bürgerversicherung schnellstmöglich in Gesetzesform zu gießen.
Nach einer Regierungsübernahme im Jahr 2013 müsse die Partei das Zeitfenster mit Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat konsequent für die Einführung der Bürgerversicherung nutzen.
Drei Milliarden Euro mehr Arzt-Honorar
Für Ärzte soll die Bürgerversicherung jährlich drei Milliarden Euro mehr an Honoraren einbringen. Das hat der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Professor Karl Lauterbach, im Vorfeld des Parteitages bei verschiedenen Gelegenheiten angekündigt.
Unterschiede in der Honorierung der Behandlung gesetzlich und privat Versicherter soll es dann nicht mehr geben, die Anpassung eher in Richtung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gehen.
Die Pauschalen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) setzten zu wenige Anreize, sich intensiv um die Patienten zu kümmern. Bei der Finanzierung der Bürgerversicherung gibt es bei der SPD keine radikalen Forderungen.
Auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sollen keine Beiträge erhoben werden. Kapitaleinkünfte sollen bei den Beiträgen auch nicht berücksichtigt werden, bleiben aber nicht völlig verschont.
Unternehmen sollen mehr belastet werden
Eine Erhöhung der Abgeltungsteuer auf Zinsen und Dividenden soll zweckgebunden in die Bürgerversicherung fließen. Einen deutlich größeren Brocken sollen Unternehmen beisteuern, die hohe Gehälter bezahlen.
Sie sollen Beiträge auf die gesamte Lohnsumme bezahlen, einschließlich aller Prämien und Boni. Die heutige Deckelung soll entfallen.
Die privaten Krankenversicherer zeigten Präsenz. Mitarbeiter überreichten den Delegierten vor dem Versammlungssaal Schokoladenosterhasen, Aufschrift: "Heute schon an morgen denken".
Ein Regierungswechsel und die Einführung der Bürgerversicherung würde das gegenwärtige Geschäftsmodell der privaten Assekuranz empfindlich treffen.
Rückstellungen sollen der PKV erhalten bleiben
Sie dürfte dann keine neuen privaten Vollversicherungen mehr verkaufen und würde auf das Geschäft mit Zusatzversicherungen zurückgeworfen.
Da klang es schon ein wenig hämisch, wenn die siegesgewissen SPD-Granden die privaten Versicherer einluden, doch stattdessen die SPD-Bürgerversicherung anzubieten, mithin die ohnehin schon eingeleitete Metamorphose zur gesetzlichen Krankenversicherung zu vollenden.
Eines hatte Karl Lauterbach aber schon vor dem Parteitag klargestellt. An die Rückstellungen der privaten Krankenversicherer will die SPD nicht heran. Dass dies Enteignung wäre und aller Voraussicht nach nicht gerichtsfest, ist auch den Genossen klar.