Raucherentwöhnung
Nikotinersatztherapie lohnt sich
Eine Hilfe für den Ausstieg aus der Tabakabhängigkeit ist die Nikotinersatztherapie. Doch die hat der Gesetzgeber als Kassenleistung ausgeschlossen. Medizinisch und gesundheitsökonomisch ist das fragwürdig.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Not war groß im Jahr 2003. Insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro Schulden hatte die gesetzliche Krankenversicherung aufgebaut, als die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt energisch zur Kostenschere griff.
Die Arzneimittelversorgung stand dabei im Zentrum: Der Gesetzgeber verordnete für die meisten Arzneimittel einen Zwangsrabatt von 16 Prozent, ferner wurden alle rezeptfreien Arzneimittel aus der GKV-Leistungspflicht herausgenommen.
Nur noch ausnahmsweise konnte der Bundesausschuss deren Verordnung auf Kassenrezept verordnen. Diese Möglichkeit existierte jedoch nicht für die sogenannten Lifestyle-Arzneimittel. Dazu zählen auch Arzneimittel, die im Rahmen der Raucherentwöhnung eingesetzt werden.
Absoluter Leistungsausschluss
Hintergrund war eine aufgeregte Debatte über die angeblich verheerenden Kostenwirkungen von Sildenafil gegen erektile Dysfunktion. Der Bundesausschuss probierte, mit einer Arzneimittelrichtlinie den Ausschluss durchzusetzen, eine dagegen gerichtete Klage vor dem Bundessozialgericht war erfolgreich.
Ein absoluter Leistungsausschluss sei nur durch den Gesetzgeber statthaft. Und der handelte - gründlich.
Lifestyle und Selbstverschulden wurden als Kriterien in einen Topf geworfen. Sexualtrieb und Haarpracht fielen unter die Kategorie Lebensstil, Tabakabhängigkeit und Übergewicht wurden als selbst verschuldetes Fehlverhalten bewertet.
Die Haltung der Medizin, insbesondere der Suchtmediziner, hat sich dazu inzwischen deutlich geändert.
Nikotin- und Tabakabhängigkeit ist danach keine allein durch persönliche Lebensführung verursachte Gesundheitsstörung, sondern stellt - beispielsweise nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation - ebenso wie die Alkohol- und Opiatabhängigkeit eine ernst zu nehmende Suchterkrankung dar.
Auch im Bundesausschuss hatte sich diese Auffassung bereits durchgesetzt. Zumindest Patienten, die im Rahmen des Disease-Management-Programms COPD behandelt werden, sollten zumindest einmalig einen Anspruch auf Kostenerstattung von Nikotinersatzpräparaten bekommen, wenn sie sich für Tabakabstinenz entschieden hatten.
Dagegen schritt jedoch das Bundesgesundheitsministerium ein. Die vom Bundesausschuss beschlossene Regelung sei "mit den geltenden gesetzlichen Vorgaben in Paragraf 34 Absatz 1 Satz 8 SGB V nicht vereinbar und daher rechtswidrig".
Denn hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung gelte, so das Ministerium in seiner Begründung, dass sie wie andere sogenannte Lifestyle-Arzneimittel "ausdrücklich" von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen seien.
"Für eine einschränkende Auslegung dieser gesetzlichen Regelung zur Ermöglichung der Verordnungsfähigkeit in Ausnahmefällen" werde grundsätzlich kein Raum gesehen. Auch die DMP böten keine Grundlage für die Festlegung leistungsrechtlicher Ansprüche.
Nur ein neues Gesetz kann helfen
Will sagen: Was der Gesetzgeber so präzise und eindeutig festgelegt hat, kann nur er selbst durch ein neues Gesetz ändern. Der Ball liegt beim Bundestag. Dort muss Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Medizinisch wie auch ökonomisch gibt es inzwischen starke Fakten und Argumente für eine medikamentös unterstützte Raucherentwöhnung. Immer noch gibt es in Deutschland rund 20 Millionen Raucher, der Anteil, bei den Männern liegt bei 34, der der Frauen bei 26,4 Prozent.
Zwar verringert sich die Zahl der Raucher im Zeitablauf; das ist aber im wesentlichen auf die stark rückläufigen Anteile der Raucher bei jungen Menschen zurückzuführen, die nie mit dem Rauchen begonnen haben. In den höheren Altersjahrgängen gibt es fast keinen Rückgang.
Unstrittig ist das Gesundheitsrisiko . Das Deutsche Krebsforschungszentrum listet über 30 Einzelerkrankungen auf, die in Verbindung mit Tabakkonsum gehäuft auftreten. Jährlich sterben in Deutschland zwischen 100.000 und 120.000 Menschen, weil sie geraucht haben.
Die psychotrope Wirkung des Nikotins verursacht sowohl psychische wie auch körperliche Abhängigkeit. Unter Medizinern ist es verbreiteter Konsens, dass es sich um eine behandlungsbedürftige Suchterkrankung handelt.
Abstinenz oder zumindest eine Reduktion des Zigarettenkonsums wären effektiv für eine Minderung der Gesundheitsrisiken.
Wissenschaftlich abgesichert ist inzwischen, dass eine Kombination aus ärztlicher Beratung, verhaltenspräventiven Maßnahmen und medikamentöser Nikotinersatztherapie am effektivsten ist.
Nach Feststellungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat eine Auswertung wissenschaftlicher Studien ergeben, dass die Nikotinersatztherapie diejenige Methode ist, die am ehesten zur Raucherentwöhnung führt und deren Nutzen mögliche Schäden eindeutig übersteigt.
Von 100 Personen, die mit dem Rauchen aufhören, die aber auf eine Nikotinersatztherapie verzichten, waren nach sechs Monaten noch zehn abstinent.
Wurde der Ausstieg jedoch von einer Nikotinersatztherapie begleitet, lag die Erfolgsquote nach sechs Monaten bei 17 Prozent. Für den Bundesausschuss war dies Grund genug, die Nikotinersatztherapie ins DMP COPD aufzunehmen - was schließlich aus rechtlichen Gründen scheiterte.
Nachholbedarf hat der Gesetzgeber, für den 2003 das Ziel der Kostendämpfung für den Leistungsausschluss ausschlaggebend war, auch in puncto Gesundheitsökonomie.
In zwei Studien, die der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen durchgeführt hat, wurde die Kosteneffektivität der Nikotinersatztherapie nachgewiesen.
Das schlägt sich gleich in drei Dimensionen nieder:
Wer mit dem Rauchen aufhört, lebt länger.
Gleichzeitig steigt in der restlichen Lebenszeit die Lebensqualität.
Per Saldo können durch erfolgreiche Rauchabstinenz Gesundheitskosten gespart werden.
Schon mittelfristig Einsparungen
Die Initiative Raucherentwöhnung im Bundesverband der Arzneimittelhersteller weist in diesem Zusammenhang auf den mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz AMNOG und der damit verbundenen Einführung der frühen Nutzenbewertung hin.
Danach werden Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen danach beurteilt, ob und mit welcher Evidenz sie einen Zusatznutzen zu einer Vergleichstherapie oder - wenn diese nicht vorhanden ist - zu best supportive Care haben.
Das Ziel ist, einen kosteneffektiven Einsatz von Arzneimitteln zu ermöglichen.
"Mit Blick auf die Nikotinersatztherapie tritt die besondere Situation auf, dass schon bei mittelfristiger Perspektive den Mehrausgaben für die medikamentöse Raucherentwöhnung Einsparungen bei Gesundheitskosten gegenüber stehen, die die Investitionen übertreffen.
Das ist der günstigste Fall einer Kosteneffektivität", schreiben die Gesundheitsökonomen Dr. Uwe May und Cosima Bauer in einem Gutachten für die initiative Raucherentwöhnung.
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