Kritik der WHO
Nur 25 Corona-Impfdosen für ein Land? – „Moralisches Versagen“
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus prangert die ungleiche Verteilung von Corona-Impfstoff an. Diese „Ich-zuerst-Haltung“ werde die Pandemie verlängern.
Veröffentlicht:GENF. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat erneut die gewaltige Kluft bei den Corona-Impfungen zwischen den reichen und den armen Ländern scharf kritisiert.
Während in mindestens 49 wohlhabenden Staaten inzwischen 39 Millionen Dosen verabreicht worden seien, liege die Zahl der gespritzten Dosen in einem der besonders armen Länder bei gerade einmal 25, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag zum Auftakt einer mehrtägigen Sitzung des WHO-Exekutivrates.
„Nur 25 Dosen wurden in einem der ärmsten Länder verabreicht, nicht 25 Millionen, nicht 25.000, nur 25“, betonte der WHO-Chef. Das sei nicht hinnehmbar. Um welches Land es sich dabei konkret handelt, sagte er nicht. „Ich muss unverblümt sagen: Die Welt steht am Rand eines katastrophalen moralischen Versagens.“
Zahl bilateraler Verträge mit Herstellern nimmt zu
Die Zahl der bilateralen Verträge reicher Staaten mit den Impfstoffherstellern nehme deutlich zu. Während im vergangenen Jahr 44 solche Kontrakte geschlossen worden seien, seien es in den ersten Tagen des Jahres 2021 bereits zwölf, sagte Tedros. Diese „Ich-Zuerst-Haltung“ gefährde nicht nur die Bevölkerung in den armen Ländern, sondern werde zu einer Verlängerung der Dauer der Pandemie führen, warnte Tedros.
Er appellierte an die reichen Länder, die sich viel Impfstoff gesichert hätten, ihre Zusagen einzuhalten. Die Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte (G20), zu der auch Deutschland zählt, hatte sich im November 2020 zu einer gerechten Verteilung der Impfstoffe verpflichtet. Die von der Weltgesundheitsorganisation getragene Initiative Covax will sich darum kümmern, dass arme Länder nicht benachteiligt werden.
Die Situation werde durch den Umstand verschärft, dass die meisten Hersteller die behördliche Genehmigung in reichen Ländern mit vielversprechenden Gewinnen anstrebten, statt der WHO vollständige Dokumente vorzulegen.
Die WHO übernimmt für arme Länder, die das nicht leisten können, den Genehmigungsprozess. Damit drohe genau das Szenario, das Covax habe verhindern wollen: Ein Horten von Vorräten und ein chaotischer Markt, meinte Tedros weiter.
Impfstoffgerechtigkeit auch ein wirtschaftliches Muss
Impfstoffgerechtigkeit sei nicht nur ein moralisches, sondern auch ein strategisches und wirtschaftliches Muss. Eine Studie habe jüngst belegt, dass der wirtschaftliche Nutzen einer gerechten Impfstoffzuweisung enorm sei.
„Es ist nicht zu spät“, sagte Tedros an die Adresse der wohlhabenden Länder. Ziel bleibe, dass in den ersten 100 Tagen des neuen Jahres weltweit die Impfungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen und für ältere Menschen beginnen müssten.
Dabei müsse unbedingt darauf geachtet werden, dass nur die nach internationalen Standards auf Verträglichkeit, Wirksamkeit und Qualität geprüften Impfstoffe zum Einsatz kämen, mahnte Tedros. (dpa)