Langzeituntersuchung

Nur eins von vier Frühchen ist später gesund

Nur ein Viertel der extrem früh geborenen Kinder in Niedersachsen ist nach fünf Lebensjahren gesund. Das hat eine bisher in Deutschland einmalige Langzeituntersuchung Frühgeborener in Niedersachsen ergeben. Die Untersuchung zeigt auch Versorgungslücken auf.

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Extremes Frühchen - nur jedes vierte ist im Alter von fünf Jahren völlig gesund.

Extremes Frühchen - nur jedes vierte ist im Alter von fünf Jahren völlig gesund.

© reflektastudios / fotolia.com

HANNOVER (cben). Bei der Langzeituntersuchung wurden die Daten der Kinder von ihrer Geburt nach weniger als 28 Schwangerschaftswochen bis zum Schulkindalter erhoben. "Bei der Fünf Jahres-Nachuntersuchung werden in der Gesamtbeurteilung 75 Prozent der extrem unreifen Frühgeborenen als beeinträchtigt eingestuft", teilte das Zentrum für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (ZQ) bei der Landesärztekammer Niedersachsen mit.

Das ZQ leitet das Projekt. Jetzt soll ein Benchmarking unter elf größeren Neonatologien im Land die Versorgungssituation beleuchten, sagte Gabriele Damm vom ZQ der "Ärzte Zeitung".

Im Zentrum des Projektes stehen die 0,5 Prozent aller lebendgeborenen Kinder mit einem Gestationsalter von weniger als 28 Schwangerschaftswochen, also die "extremly-low-birth-weight"-Kinder (ELBW). Die meisten von ihnen wiegen nur zwischen 500 und 1000 Gramm.

Sie werden im Rahmen des Projektes nach sechs Monaten, zwei Jahren, fünf Jahren und zehn Jahren erneut untersucht, um mehr über ihre Gesundheit und ihre Versorgungssituation zu erfahren.

Daten von 226 Kindern

Von den 902 Frühchen, die zwischen Oktober 2004 und September 2009 zur Welt kamen, konnten aus zwei Jahrgängen 226 Kinder für die Fünf-Jahres-Nachuntersuchung ausgewählt und die Ergebnisse ausgewertet werden.

27 Prozent dieser Kinder sind behindert (Cerebralparese, IQ unter 70 und/oder blind), und 16 Prozent haben einen IQ von nur 70 bis 84. Unter den restlichen 57 Prozent "kognitiv unauffälliger" Kinder sind mehr als die Hälfte motorisch und/oder sprachlich beeinträchtigt.

Nur 25 Prozent aller untersuchten Kinder dieser Gruppe sind nach fünf Jahren "unauffällig".

"Generell sehen wir, dass die Auffälligkeiten mit höherem Lebensalter zunehmen", erklärt Gabriele Damm. "Das liegt daran, dass wir motorische, sprachliche und kognitive Fähigkeiten der Kinder mit dem steigenden Alter immer besser beurteilen und diagnostizieren können."

Bedarf an Nachsorge soll geklärt werden

Das Untersuchungsprojekt solle vor allem den Bedarf an Nachsorge aufdecken. "Was brauchen diese Kinder, um gut durch die Schule zu kommen?", fragt Damm. 95 Prozent der Kinder erhielten in den ersten fünf Jahren ihres Lebens eine Therapie, heißt es im Bericht des ZQ.

Im Alter von fünf Jahren waren es immer noch 43 Prozent. Aber bei zusätzlich 29 Prozent der Kinder zeigte erst die Nachuntersuchung, dass sie eine Therapie brauchten.Woher diese teilweise Unterversorgung rührte ist unklar.

"Je älter die Kinder werden, um so größer wird hier natürlich auf der Einfluss des Elternhauses und der Lebensumstände des Kindes", sagt Damm.

Neonatologische Zentren sollen verglichen werden

Im Herbst dieses Jahres wird das ZQ elf der 31 Neonatologien in Niedersachsen in einem Benchmarkverfahren miteinander vergleichen. Es geben Unterschiede in der Versorgung, so Damm.

"Uns geht es aber in keinem Fall darum, Kliniken an den Pranger zu stellen, sondern wir wollen Best-Practice-Beispiele finden, von denen alle lernen können." Auch die Kliniken scheinen großes Interesse daran zu haben.

Zwölf Häuser wurden angefragt, elf haben zugesagt. Damm: "Im Oktober wird das erste Treffen stattfinden."

Das Geld für das Projekt kommt von der KKH Allianz, der TK und der Niedersächsischen Qualitätsinitiative. Über die Höhe der Zuschüsse schweigt das ZQ sich aus.

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Kommentare
Gabriele Wagner 23.08.201211:05 Uhr

Repräsentativität

Per E-Mail erreichte uns der folgende Kommentar von Gabriele Damm, Projektmanagement Niedersächsisches Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekt, Hannover:

Die im niedersächsischen Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekt ausgewerteten Zahlen sind repräsentativ. Durch die verkürzte Darstellung der Zahlen zur Projektbeteiligung wurde die Repräsentativität missverständlich interpretiert.

Es wurden nicht 226 Kinder ausgewählt, sondern von den 902 Überlebenden, die zwischen Oktober 2004 und September 2009 in Niedersachsen zur Welt kamen, konnten zum jetzigen Zeitpunkt zwei Jahrgänge nach 5 Jahren nachuntersucht werden, da die anderen Kinder bislang noch keine 5 Jahre alt sind. Die Beteiligungsrate beträgt für 5 untersuchte Jahrgänge der 6-Monats-Nachuntersuchung 82% (737 von 902), für 4 untersuchte Jahrgänge der 2-Jahres-Nachuntersuchung 74% (513 von 692) und für 2 untersuchte Jahrgänge die 5-Jahres-Nachuntersuchung 64% (226 von 351).

Die erzielten Beteiligungsraten sind für eine über Jahre angelegte landesweite freiwillige Vollerhebung weit überdurchschnittlich und die Ergebnisse somit eindeutig übertragbar. Detaillierte Projektergebnisse sind bei Interesse auf der Projekt-Homepage (www.aekn.de) unter -> ZQ -> Projekte -> Nachuntersuchung von Frühgeborenen nachzulesen.
Das Projekt hat zudem untersucht, dass sich nicht untersuchte Kinder von untersuchten Kindern bzgl. ihres Outcomes (z.B. schwere Hirnschädigung, Langzeitbeatmung) zum Zeitpunkt bei Entlassung aus der Kinderklinik nicht signifikant unterschieden.

Die Projektkosten belaufen sich lediglich auf rund 50.000 Euro pro Jahr für ein landesweit erfolgreich etabliertes Projekt.

Gabriele Damm, Projektmanagement Niedersächsisches Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekt, Hannover

Dr. Karlheinz Bayer 20.08.201212:42 Uhr

56 von 902 ?


Natürlich hat Prof. Löwenich recht: die Zahlen sind nicht repräsentativ.
Wenn man mit den gegebenen Zahlen spielt, wird noch deutlicher, wie wenig verwertbar sie tatsächlich sind.
Nimmt man die 75% der Kinder mit Schäden aus den 226, die sich gemeldet haben, dann finden sich 56 oder rund 6 % der 902 Kinder mit Schädigungen.
Dieser Prozentsatz wäre ausgezeichnet.
Allerdings fehlen alle Angaben zu den nicht gemeldeten 676 Kindern. Darf man bei denen den Prozentsatz 6 ansetzen oder den Prozentsatz 75? Oder irgend einen Wert dazwischen, und wenn dann welchen?

Was den Beitrag allerdings sehr bedenklich macht, ist die nicht geäußerte Konsequenz, vor der mit graut. Wenn 75 % der Frühgeborenen solche Schäden aufweisen, sollte man dann nicht besser ...

Wehret den Anfängen!

Dr.Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

Prof. Dr. Volker von Loewenich 17.08.201219:55 Uhr

Frühgeborene

Wenn aus 902 Kindern 226 "ausgewählt" wurden, wie hier berichtet, dann muß man sich vor einem Selektions-Effekt und vor Rückschlüssen hüten. Wir haben immer wieder gesehen, daß die treuesten Kinder bei unseren Nachuntersuchungen immer die am schwersten geschädigten waren. Hier ist die Bereitschaft der Eltern, an Untersuchungen teilzunehmen, am größten. Wählt man diese aus, sind die Ergebnisse nicht repräsentativ und aller Voraussicht nach zu pessimistisch. Außerdem muß genau deklariert werden, wie hoch die Meßlatte für Normalität gelegt ist.
Ferner: nicht nur die Neonatologien sollten verglichen werden, sondern auch die zugehörigen Geburtshilfen. Die Ergebnisse der Neonatologien hängen erheblich davon ab, in welchem Zustand die Kinder aus der Geburtshilfe kommen.
Prof. Dr. Volker v. Loewenich, Frankfurt a.M.

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