MDK

Onkologen kritisieren Prüfwelle in Kliniken

Prüfverfahren als Geschäftsmodell? Bei ihrer Tagung kritisierte die DGHO den MDK scharf. Das Fazit: "Wir sollten uns das nicht gefallen lassen."

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Der MDK überzieht Kliniken mit zu viel Prüfungen, kritisieren die Onkologen.

Der MDK überzieht Kliniken mit zu viel Prüfungen, kritisieren die Onkologen.

© Tobias Kleinschmidt / dpa / picture-alliance?

BERLIN. Krebsexperten üben Kritik an den immer stärker um sich greifenden MDK-Aktivitäten in Krankenhäusern. Die Prüfverfahren würden immer mehr zum Geschäftsmodell für Kassen: Nachdem die Prüfquoten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) jahrelang je nach Einrichtung und Kasse irgendwo um zehn Prozent gelegen hätten, würden mittlerweile oft Quoten um 30 Prozent erreicht, sagte Professor Helmut Ostermann von der Medizinischen Klinik der LMU München bei der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). "Wir werden geradezu von einer Prüfwelle überrollt", so der Hämatologe.

Ostermann verdeutlichte das am eigenen Beispiel. Rund elf Prozent betrug die Prüfquote am Klinikum der LMU in den Jahren zwischen 2008 und 2012. "Im Jahr 2015 waren wir bei 23 Prozent, und 2016 landen wir wahrscheinlich bei 30 Prozent", so Ostermann. Bundesweite Daten gibt es für das Jahr 2014: Bei 3,52 Millionen Prüffällen – einer Prüfquote von 18,6 Prozent – ging es um einen Streitwert von 4,5 Milliarden Euro. De facto rückerstattet wurden 1,92 Milliarden Euro. Nach Abzug der Kosten blieben den Krankenkassen demnach rund 1,5 Milliarden Euro Gewinn.

Im Vordergrund stünden derzeit Langliegerzuschläge und die Frage, ob eine stationäre Behandlung nötig gewesen sei, also die obere und untere Grenzverweildauer. Mit zwei markanten Beispielen verdeutlichte Ostermann, welch absurde Züge das annimmt. So war ein Patient mit akuter myeloischer Leukämie und Knochenmarktransplantation (KMT) 64 Tage stationär und machte neben der KMT eine Aspergilluspenumonie, ein akutes Nierenversagen, eine Synkope und eine Enteritis durch. Nach Entlassung fragte der MDK an, ob die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer um vier Tage gerechtfertigt gewesen sei. "Mir bei einer so komplexen Therapie vorwerfen zu lassen, dass ich nicht stringent behandelt hätte, finde ich schwierig", so Ostermann.

Zweites Beispiel: Eine Patientin mit metastasiertem kolorektalem Karzinom war zehn Tage stationär. Die obere Grenzverweildauer beträgt neun Tage, was sofort den MDK auf den Plan rief. Grund für den Zusatztag war unter anderem eine neurologische Abklärung. "Wir sollten uns das nicht mehr gefallen lassen", so Ostermann. Es gehe längst nicht mehr um eine Prüfung, sondern darum, Fälle mit Interpretationsspielräumen auseinanderzunehmen, bei denen es für die Kassen eine Chance auf Gewinn gebe. Neben den Langliegern betreffe das vor allem schwerkranke Patienten, bei denen es schwer sei, genau zu definieren, wann eine ambulante Therapie nicht mehr möglich ist.

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Kommentare
Remco Salomé 24.03.201712:18 Uhr

Krankenversicherung - MDK - Sozialgerichtsbarkeit: Ursachen und Wirkungen

Die etwas "aufgeregt formulierten" Kommentare der oben genannten Kollegen und natürlich der Beitrag selbst, sind sachlich nachvollziehbar. Es lohnt sich aber, die Sache etwas kühler auf den Punkt zu bringen. Ein Versuch dazu:
- Krankenkassen haben entdeckt, dass der Vorwurf "Abrechnungsbetrug" unabhängig vom Wahrheitsgehalt in der Öffentlichkeit sehr gut "funktioniert".
- Aus rein subjektiven Meinungen über die "medizinische Notwendigkeit" eines jeden Behandlungstages / Behandlungsschrittes werden "Fehler", ja sogar "Straftaten" konstruiert. Es findet eine Art "Prüfungscharade" statt. Diese dient dazu, eine nachweislich recht willkürliche Beurteilung seriös / objektiv wirken zu lassen.
- Der MDK wird durch starke Einflussnahme der Kassen (Verwaltungsrat!) in diesem Prozess gefügig gemacht. Die einzelnen Gutachter werden nach meinem Wissensstand nicht durch finanzielle Anreize beeinflusst. Wohl aber durch Kritik einer internen "Qualitätssicherung" und durch Widersprüche der Kostenträger gegen Gutachten.
- Die Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere der erste Senat des BSG, unterstützt als "Hüter der Solidarkasse" die Bestrebungen der Kassen in extremer und teilweise rechtswidriger Form.
Das Ergebnis ist ein Teufelskreis, der die Kassen belohnt. Es wird immer mehr Geld aus dem Krankenhausbudget zweckentfremdet und als eine Art Zubrot den Kassen zugesteckt. Diese haben (dadurch?) 2016 einen Gewinn in Höhe von 1,4 Milliarden Euro gemacht. Davon können die Krankenhäuser nur träumen.
Wir brauchen ein völlig anderes Prüfsystem, das nicht die Kassen für unsittliches Prüfverhalten belohnt! Sinnvolle Vorschläge dafür gibt es schon seit Jahren.

Claus Kühnert 10.03.201723:11 Uhr

Die eigentliche Rolle und Wertigkeit des MDK - ad "Onkologen kritisieren..."

Herr Baier hat wie so viele Bürger unseres Landes noch immer falsche Vorstellungen von der Rolle und Wertigkeit des MDK.
Grundsätzlich verdankt der MDK sein Dasein dem Gesetzgeber, der sie den GKV-en (Krankenkassen)als Hilfs- und Kontrollorgan zur Seite gestellt hat. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass die Krankenkassen die MDK-en und das oberste Kontrollorgan der MDS (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände (KK)in Essen, diese "Institutionen" finanzieren.D. h.
ohne Krankenkassen gibt es keinen MDK der einzelnen Bundesländer. Das hören die MDK-en nicht gern, obwohl sie es genau wissen und es ihrer Arroganz weh tut. Andererseits bedienen sich die KK (GKV)gern des Taschenspielertricks, indem sie den Versi.(Versicherten) gern erklären :" Das hat der MDK so entschieden1" oh nein, das stimmt so nicht, da der MDK nur eine beratende Stimme (Empfehlung)hat und keine absolute "Narrenfreiheit". Es bleibt die Bindung an das SGB und die gesetzlichen Vorgaben des Pflegegesetzes etc. Man sollte also nicht in Ehrfurcht erstarren, wenn es heißt, der MDK kommt. Bei groben Fehlentscheidungen (oder Verdacht auf...) bleibt der Widerspruch und ggf. der Einspruch beim MDS in Essen. Diese lehnen zwar gern eine ''Weisungsbefugnis'' ab, werden aber kontrollierend ''tätig'' und reglementieren, falls möglich den übereifrigen MDK.
Außerdem ist es im Zweifelsfall immer wichtig die fachliche Qualifikation (Facharzt für...? - oder Fachpflegekraft/ Schwester, Pfleger) zu hinterfragen.
Weiterhin sollte man wissen, dass es 3 Möglichkeiten des ''Kontakts'' zum MDK gibt: 1. -dringende Vorstellung beim MDK durch den Arbeitgeber wegen "Zweifel an der AU". 2. Vorstellung beim MDK auf Veranlassung der KK, wegen Abklärung der Dauer und Qualität der ärztlichen Behandlung.
3.(meist nicht bekannt!)- Vorstellung beim MDK auf Verlangen des Versi./
Patienten, wegen "unzureichender" Behandlung oder Versagen von Leistungen durch die Krankenkassen! Auch ''vorzeitige/voreilige'' Beendigungen der AU des Patienten durch den behandelnden Arzt (es gibt keine Gesundschreibung mehr, schon lange nicht)kann der Pat. /Versi. verlangen durch den MDK (als Empfehlung!)abzuklären. Auch hier behaupten viele meiner Kollegen: " Die Kasse macht Druck, der MDK hat so entschieden" - falsch, s. o.
Viel Erfolg, mit freundlichen Grüßen
Dr. med. univ. C. Kühnert




Florian Baier 10.03.201712:37 Uhr

MDK als Handlanger der Krankenkassen

Das Problem sind doch weniger die Krankenkassen, von denen wir als Ärzte ohnehin keine Vernunft mehr erwarten. In unserem System ist ihre Aufgabe in erster Linie das Geldverdienen.
Beschämend ist die Rolle des MDK, der ja eigentlich ein objektives und fachlich faires Urteil fällen sollte. Stattdessen lassen sich die Kollegen von den Kassen offensichtlich instrumentalisieren und sind eindeutig befangen, also nicht mehr zu einem neutralen Urteil in der Lage.
Welche Arten von "Boni" und "Vergütungsanreizen" hier für die MDK-Kollegen legal oder auch illegal existieren, möchte ich gar nicht wissen.
Wenn es um Milliarden geht, ist bekanntlich jede Moral am Ende.
Daß sich hunderttausende von Ärzten gegen diese Schikanen einer Kontrollindustrie nicht wehren können, ist einfach nur peinlich. Apothekern geht es ähnlich, Rezepte werden aus formalen Gründen "retaxiert". Auch Therapeuten können ein Lied von singen, daß medizinisch begründete Verordnungen wg. Formfehlern schließlich nicht vergütet werden.

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