Operation Neidhammel: das Kassen-Vorspiel zur Spar-Klausur des Bundeskabinetts

Milliarden-Zuwächse bei Umsatz und Ertrag, Spitzeneinkommen im Vergleich zu anderen Besserverdienenden - der GKV-Spitzenverband versucht, die Koalition im Vorfeld ihrer Sparklausur auf Einschnitte bei Ärzten zu konditionieren.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Rechtzeitig vor Beginn der Spar-Klausur ist der GKV-Spitzenverband mit einer Kampagne gegen die Arzthonorare in die Öffentlichkeit gegangen. © Udo Kroener / fotolia.com

Rechtzeitig vor Beginn der Spar-Klausur ist der GKV-Spitzenverband mit einer Kampagne gegen die Arzthonorare in die Öffentlichkeit gegangen. © Udo Kroener / fotolia.com

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Der Befund ist eindeutig: Die gesetzlichen Krankenkassen müssen im kommenden Jahr mit einem Defizit von elf Milliarden Euro rechnen. Die Bundesregierung steht damit vor einer schwierigen Operation - denn eine Substitutionstherapie mit Steuermitteln, die die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der Kassen deckt, verbietet sich. Denn auch in den Staatshaushalten klafft ein Riesenloch. Und das mit Krediten zu füllen, verbietet das Maastricht-Kriterium, das die zulässige Neuverschuldung auf drei Prozent begrenzt - ein Ziel, gegen das Deutschland ohnedies in diesem und wohl auch im nächsten Jahr verstoßen wird.

Diese Zusammenhänge sind es, die spätestens im nächsten Jahr als Folgebeben der Wirtschaftskrise für das Gesundheitswesen und damit auch für die Ärzte spürbar werden.

Wo ist der Speck, in den geschnitten werden kann?

Gut eine Woche vor der entscheidenden Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg bei Berlin - dann sollen die Eckpunkte für den Haushaltsplan 2010 und damit auch für das Sparpaket im Gesundheitswesen beschlossen werden - ist der GKV-Spitzenverband mit einer Kampagne gegen die Arzthonorare an die Öffentlichkeit gegangen. Nicht zuletzt, um Politikern zu zeigen, welche Teile der Gesellschaft in den letzten Jahren dicken Speck angesammelt haben, den wegzuoperieren keine Not auslöst.

Der kräftige Honorarzuwachs der letzten drei Jahre war politisch gewollt - das WSG stellte die Weichen.

Tatsache ist: Die GKV-Umsätze der Vertragsärzte und -Psychotherapeuten inklusive der Praxisgebühr sind zwischen 2007 und 2010 um 4,7 Milliarden Euro auf inzwischen 32,1 Milliarden Euro gestiegen. Das ist ein Zuwachs von 17,1 Prozent binnen drei Jahren. Oder eine jährliche Steigerungsrate von knapp sechs Prozent.

These: Vertragsarzt verdient mehr als ein Oberarzt

In den zehn Jahren zuvor, in denen große Teile der Gesamtvergütung an die Entwicklung der Grundlohnsumme gebunden war, lag die durchschnittliche Wachstumsrate gerade bei gut zwei Prozent.

Diese Fakten sind unstrittig - und sie waren politisch auch gewollt. Die große Koalition hatte den Ärzten einen gewissen Nachholbedarf zugestanden und vor allem für die Weiterentwicklung des Honorars die Morbidität zum entscheidenden Kriterium gemacht. Das war ein Paradigmenwechsel, der die jetzigen Machthaber vor kaum lösbare Probleme stellt.

Den GKV-Spitzenverband kümmert das nicht. Er setzt in seiner Not auf den Neid der Öffentlichkeit und präsentiert dazu ein ganzes Bündel an Behauptungen, wie gut es Vertragsärzten im Vergleich zum Rest der Welt geht.

So habe sich das durchschnittliche Gesamteinkommen (brutto) der Vertragsärzte von 126 000 Euro im Jahr 2003 auf 164 000 Euro in diesem Jahr verbessert. Datenbasis ist das Statistische Bundesamt und eine Hochrechnung auf das Jahr 2010, wobei für die letzten drei Jahre lediglich ein Kostenanstieg von einem Prozent unterstellt wurde. Und: Das Einkommen speist sich aus GKV-Vergütung, Privathonoraren und Einnahmen aus IGeL.

Argumentation mit hohem Ärzteeinkommen - ein Hinweis darauf, wo gespart werden kann?

Im Vergleich dazu verdient ein Oberarzt pro Jahr 99 000 Euro. Das ist eine wichtige Größe, weil sie die betriebswirtschaftliche Kalkulationsgrundlage für das angemessene Arbeitsentgelt der Vertragsärzte sind. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Arbeit des Vertragsarztes wird im Durchschnitt besser entgolten als die eines Oberarztes.

Erst recht verdienen Ärzte mehr als andere Besserverdienende in unserer Gesellschaft: als der Geschäftsführer (92 556 Euro), der Ingenieur (71 479 Euro) oder der Gymnasiallehrer (46 603 Euro).

Deshalb hält die Kassenfront es für gerechtfertigt, ins Honorar der Ärzte zu schneiden: minus 2,5 Prozent ist die Forderung.

Dem steht das KBV-Petitum gegenüber, wachsende Morbidität mit 1,7 Prozent und bislang nicht berücksichtigte Kostensteigerungen von rund zwei Milliarden Euro (rund sechs Prozent) für das Honorar 2011 zu verhandeln. Nie war die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit so groß wie jetzt.

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Kommentare
Dr. Birgit Bauer 28.05.201013:08 Uhr

Mut zu tatsächlichen Veränderungen!

Es ist kaum zu glauben ,ich frage mich wie lange die eigentlich überflüssigen Strukturen ,hier die Vielzahl der GKK ,die am Pat. Tätigen
schikanieren dürfen. Ich kann mich Herrn Pöhler nur anschließen die Gesetzlichen Kassen sind mit Unterstützung des Gesetzgebers zum Selbstbedienungsladen mutiert.
Krankenkassen sind bei Lichte betrachtet Treuhänder der Gelder ihrer Mitglieder, die eingezahlt werden um im Krankheitsfall eine kurative Leistung zu erhalten. Die Kassen selbst haben ohne die vom Gesetzgeber
beschlossene Zwangsabgabe kein selbsterwirtschaftetes Geld.
Betrachtet man nun wofür die Gelder ausgegeben werden kann man nur zu dem Schluß kommen, das Gelder in Größenordnungen zweckentfremdet werden.
Wieso dürfen Vorstände, die Gelder aus einer Pflichtleistung der Versicherten bekommen sich derart unverschämt selbst bedienen, wo bleibt die Rechtsaufsicht.
Wozu brauchen gesetzliche Krankenkassen Marketingabteilungen, wieso werden teure Fernsehwerbungen mit Beitragsgeldern finanziert?
Die Frageliste könnte unendlich verlängert werden.
All die trittbrettfinanzierten unnötigen Verwaltungsapparate sollten endlich auf eine wirklich notwendige Struktur reduziert werden.
Wenn in Deutschland ein solidarisches Gesundheitswesen erhalten werden soll, wovon ich ausgehe, das es aber schon gegenwärtig nicht mehr gibt,
muß eine Trennung des im Solidarsystem zu leistenden von rein marktwirtschaftlichen Strukturen her. Die derzeitigen Überschneidungen sind einfach nicht mehr händelbar.
Eine Grundsatzentscheidung muß her, ob der Arzt zukünftig nun freiberuflich oder als Anhängsel von Klinikkonzernen und Pharmafirmen in Deutschland arbeiten soll.
Wenn Freiberuflichkeit dann bitte aber mit einer ordentlichen Gebührenordnung, die nicht permanent in Gremien wie dem GBA zu ungunsten der Ärzteschaft wie auf einem türkischen Teppichmarkt verhandelt wird und jede Planbarkeit für die Arztpraxen vernichtet.
In Zukunft sollte auch über die Finanzierung für Simultanübersetzer in Krankenhäusern nachgedacht werden, damit die Pat. sich ihren behandelnden Ärzten verständlich machen können, denn mit den derzeitigen Strukturen kann keinem jungen Kollegen verübelt werden, wenn er sich anderweitig orientiert.
Die Ärzteschaft braucht wieder eine Interessenvertretung , die diesen Namen auch verdient.
Ein Großteil der Ärzteschaft sieht in den Ärztekammern und KV-en schon lange keine Interessenvertretung mehr, denn die haben den Ausverkauf des Arztberufes in den letzten Jahren tatkräftig unterstützt.
Dies sollte die Politik endlich wahrnehmen !
Ich wünsche Herrn Gesundheitsminister Rössler viel Mut zu einer tatsächlichen Neustrukturierung.
Dabei sollte das Sprichwort: "man darf nicht die Frösche fragen wenn man einen Sumpf trocken legen will", nicht aus den Augen verloren werden.

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