Hintergrund

Opioidkrise – weshalb der deutsche Hang zum Regulieren auch sein Gutes hat

Die Opioidkrise ist nur eine der vielen Gefahrenlagen, von denen weite Teile der Welt derzeit gebeutelt werden – immerhin aber eine, in der sich Deutschland achtbar schlägt. Das hat jüngst auch die OECD anerkannt. Dennoch besteht kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Beim Verordnen von Opioiden ist Deutschland auf Platz zwei des OECD-Rankings.

Beim Verordnen von Opioiden ist Deutschland auf Platz zwei des OECD-Rankings.

© M.Rode-Foto / stock.adobe.com

America first – hier gilt es allemal: 400.000 Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sind zwischen 1999 und 2017 an einer Überdosis von Opioiden gestorben. Das entspricht der Zahl aller im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten und nach deutschen Maßstäben der Bevölkerung einer mittleren Großstadt. Auf je eine Million US-Bürger kommen rund 130 Opioidtote; im Ranking der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bedeutet das den Spitzenplatz.

Hoch sind die Opferzahlen zudem in Kanada. Australien ist ebenfalls schwer betroffen, die OECD weist darauf hin, dass drei Viertel der dortigen Opioidtodesfälle auf rezeptierte Präparate zurückgehen. Und auch vor Europa macht die Opioidkrise nicht Halt.

Zu den Ländern mit den höchsten Zuwächsen seit 2011 zählen Schweden, Norwegen, Irland und England mit Wales. Laut einem kürzlich publizierten Bericht der OECD zum problematischen Opioidgebrauch in 25 ihrer Mitgliedsländer ist die opioidassoziierte Mortalität von 2011 bis 2016 um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen (wir berichteten kurz).

Wie ist die Situation in Deutschland?

Das legt die Frage nach der Situation in Deutschland nahe. Zehn opioidbedingte Todesfälle je Million Einwohner sind hierzulande zu verzeichnen. Das entspricht Rang 13 unter den 25 datenliefernden OECD-Mitgliedsländern und liegt deutlich unter dem rund doppelt so hohen OECD-Durchschnitt.

Zwar liegen noch zwölf Länder hinter den Deutschen, doch sind ihre Zahlen nicht sehr viel niedriger. Größer fallen die Differenzen zu vielen der vor Deutschland rangierenden Staaten aus – vom Unterschied zu den USA zu schweigen.

All das ist kein Grund, besonders stolz zu sein. Anlass zum Alarmismus geben die deutschen Daten zur opioidbedingten Mortalität aber auch nicht. Selbst bei der OECD räumt man ein, dass in Deutschland vergleichsweise und bezogen auf die Bevölkerung weniger Menschen am Opioidmissbrauch sterben. Doch dann kommt, was fast immer kommt: das Aber.

Aber die Verordnungszahlen: Blickt man auf die verschriebenen Tagesdosen von Opioiden, springt Deutschland sofort auf Platz zwei der OECD-Länder, übertroffen nur noch von den USA. Mehr als 20.000 standardisierte Tagesdosen je Million Einwohner werden hierzulande täglich unters Volk gebracht (USA: mehr als 35.000), der illegale Konsum ist dabei nicht mitgerechnet.

Im Gegensatz zu den USA, das sollte nicht unter den Tisch fallen, haben bei uns die Verordnungen im untersuchten Zeitraum zugenommen. Indessen ist bekannt, dass mit der Verordnung höherer Dosen von Opioiden gegen chronische Schmerzen auch das Risiko unbeabsichtigter Überdosierung steigt, und damit die opioidbedingte Morbidität und Mortalität.

Der Anstieg beträgt laut OECD-Daten zwischen 32 und 188 Prozent. Iatrogene Opiatsucht könnte, folgt man Daten aus den USA, annähernd fünf Prozent der Patienten betreffen, die Opioidrezepte gegen Schmerzen erhalten.

Vorbei offenbar die Zeiten, da etwa Deutschlands Ärzte dafür gescholten wurden, ihren Schmerzpatienten viel zu selten und viel zu wenige Opioide zu verschreiben. Das ist übrigens noch nicht arg lange her. Inzwischen hat sich der Wind gedreht.

Es ist sogar schon vorgekommen, dass Ärzte als „legale Dealer“ bezeichnet worden sind und Vorwürfe zu hören bekamen, sie würden Opioide zu häufig, zu viel und zu lange verordnen.

Andererseits lassen sich die von der OECD herausgegebenen Zahlen zu opioidbedingter Mortalität und den Opioidverordnungen auch ins Positive wenden: Wenn wir beim Verordnen von Opioidanalgetika zwar auf Platz zwei, bei den dadurch bedingten Todesfällen aber auf Platz 13 und klar unter dem Durchschnitt stehen – spricht das nicht eher für einen überlegten Umgang mit dieser Art von Schmerzmitteln als dagegen?

Paragrafen der BtMVV erfüllen ihren Zweck

Es könnte gut sein, dass der deutsche Hang zum Regulieren für dieses Mal sein Gutes hat. Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung mag als Wort und in ihren bürokratischen Folgen ein Ungeheuer darstellen. Doch wie es aussieht, erfüllen die 18 Paragrafen der BtMVV jedenfalls recht ordentlich ihren Zweck.

Die Bundesregierung scheint das ähnlich zu sehen. Die Verordnung und Abgabe stark wirksamer Opioide sei in Deutschland verglichen mit den USA deutlich restriktiver, hieß es Ende März in der Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der FDP. Mit einer ähnlich dramatischen Entwicklung in puncto Opioidkonsum wie in Nordamerika sei derzeit nicht zu rechnen.

Selbst der aktuelle Drogen- und Suchtbericht verzeichnet von 2016 auf 2017 insgesamt einen Rückgang der opioid- beziehungsweise opiatbedingten Vergiftungen. Zuwächse sind im Drogenbericht aber für Vergiftungen mit Fentanyl und fentanylhaltigen Derivaten vermerkt.

Wenn OECD-Experten also Deutschland mahnen, die Balance zwischen angemessenem, schmerzlinderndem Einsatz und dem Risiko der Suchtentwicklung zu wahren, ist das mit guten Gründen durchaus ernst zu nehmen. Allerdings sollte das allerorten beherzigt werden – und vermutlich in Amerika zuerst.

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