Palliativ-Teams verzweifeln an Kassen-Strategie
Sie sind in Sorge um sterbenskranke Patienten - und um ihre berufliche Existenz: Vertreter von Palliative Care Teams machen jetzt bundesweit Druck.
Veröffentlicht:FRANKFURT/MAIN. "Wie kann das sein?", fragt Dr. Thomas Sitte. "Wie ist es möglich, dass in unserer hochtechnisierten Wohlstandsgesellschaft die Grundbedürfnisse auf eine angemessene Sterbebegleitung trotz eines gesetzlichen Anspruches und einer garantierten Finanzierung nicht befriedigt werden? Das ist doch eine absurde Situation!"
"Palliative Leistungen werden immer stärker nachgefragt." Dr. Thomas Sitte Palliativmediziner, Fulda
Dass die Kassen bei der Umsetzung der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) die dringend notwendigen Verträge mit den Leistungsanbietern blockieren, will Sitte, Facharzt für Anästhesiologie und Spezielle Schmerztherapie im Schmerz- und Palliativzentrum Fulda, nicht akzeptieren. Im Vorfeld des Hessischen Palliativtags am vergangenen Wochenende in Frankfurt hat er heftig getrommelt. Vertreter von 26 Palliative Care Teams aus allen Teilen Deutschlands sind in die Mainmetropole gekommen, um über Erfahrungen zu berichten und Strategien zu koordinieren.
Die Mitarbeiter der Teams seien zunehmend frustriert, berichtet Sitte im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Palliative Leistungen werden von sterbenskranken Menschen bundesweit immer stärker nachgefragt, die Team-Mitarbeiter opfern sich regelrecht auf - aber das Geld reicht vorne und hinten nicht."
In der Vertrags-Landschaft habe sich bisher praktisch kaum etwas bewegt, beklagt Sitte. Einzelne Palliativ-Netze und kleine, individuelle Versorger seien inzwischen in hohem Maße in Vorleistung getreten, um die Not der sterbenden Patienten zu lindern. "Sie werden ihre Arbeit durch zunehmende Verschuldung wieder einstellen müssen", so Sittes Prognose. Die Situation für die Patienten werde dadurch "zunehmend verzweifelt".
Viele der nach Frankfurt gereisten Experten haben die Erfahrung gemacht, dass die Kassen beim Gerangel um Verträge auf Einzelleistungsvergütung drängen. "Aber SAPV ist eine Teamleistung - und das über 24 Stunden am Tag", sagt Sitte. "Wir benötigen deshalb eine Vergütungsregelung auf Basis von Tages- oder Fallpauschalen, die angemessen hoch sein muss", erläutert der Palliativmediziner, "und da wollen die Kassen in der Regel nicht mitziehen.
Das Frankfurter Treffen soll nicht ohne Folgen bleiben. Die Teilnehmer haben sich auf eine Strategie geeinigt: Auf breiter Basis sollen Patienten unterstützt werden, die ihr Recht auf SAPV vor Sozialgerichten erstreiten. "Wir wissen von mehreren erfolgreichen Gerichtsverfahren. Das motiviert uns, dieses Konzept zu unterstützen", sagt Sitte, und stellt klar: "Es ist beschämend, dass Sterbende gezwungen sind, ihren Rechtsanspruch per Gericht zu erstreiten."
Der Fuldaer Arzt hat inzwischen einen Petitionsantrag an den Deutschen Bundestag gerichtet, der auch online gezeichnet werden kann. Das Parlament, heißt es in der Vorlage, "möge beschließen, dass das Recht der Versicherten auf eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung umgehend umgesetzt wird." Sollten die Kassen nicht in der Lage sein, dieses flächendeckend zu ermöglichen, so seien spätestens zum Januar 2010 Ersatzvornahmen notwendig. Und: Die Versorgung von Patienten, die nach Inkrafttreten des Gesetzes auf Basis der Richtlinien erfolgt sei, müsse auch rückwirkend kostendeckend bezahlt werden.
Informationen zur Petition: www.bundestag.de, Unterpunkt Petitionen, Übersicht öffentliche Pet., Petition Thomas Sitte.
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