Kontroverse Diskussion
Patientenschützer: Corona-Impfpflicht ab 50 springt zu kurz
Kommt sie oder kommt sie nicht? Die Einführung einer Corona-Impfpflicht ist fraglicher denn je. Auch ein Kompromissvorschlag glättet die Wogen nicht. Gesundheitsminister Lauterbach übt sich in Zweckoptimismus – Patientenvertreter warnen eindringlich.
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Am Donnerstag will der Bundestag in der Frage einer Impfpflicht entscheiden. Ein am Montag vorgelegter neuer Kompromissvorschlag hat Skepsis geerntet.
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Berlin. Patientenschützer haben vor einem Scheitern der allgemeinen Corona-Impfpflicht gewarnt. Der am Montag vorgelegte Kompromissvorschlag springe zu kurz – eine Impfpflicht für über 30 Millionen Über-50-Jährige, von denen 85 Prozent zweifach geimpft seien, werde vulnerable Gruppen kaum schützen, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Es sei „fraglich“, ob trotz des Kompromissvorschlags noch eine Mehrheit für die Impfpflicht im Bundestag zustande komme.
SARS-CoV-2-Pandemie
Neuer Vorschlag zur Corona-Impfpflicht soll Mehrheit bringen
„Ein Verzicht auf die Impfpflicht ab 18 Jahren wäre eine weitere verpasste Chance bei der Pandemiebekämpfung“, warnte auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Die Impfpflicht ab 18 sei „verhältnismäßig“, weil sie alle Erwachsenen in die Verantwortung nehme. „Sie würde am besten die Freiheits- und Teilhaberechte aller Menschen sichern.“
Der Bundestag will am Donnerstag über das Thema abschließend beraten. Am Montag hatten die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 einen abgeschwächten Vorschlag unterbreitet.
Festgefahrene Debatte
Demnach soll die Impfpflicht zunächst nur für Über-50-Jährige kommen. Für die 18- bis 49-Jährigen soll erst einmal eine Beratungspflicht gelten. Zudem ist der Aufbau eines Impfregisters vorgesehen. Unionsfraktion wie auch die Vertreter eines Mittelwegs aus Beratung und möglicher Impfpflicht ab 50 wiesen den Vorschlag umgehend zurück.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) erklärte, ältere Ungeimpfte trügen ein erhöhtes Risiko, nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 schwer zu erkranken. Deshalb könne auch eine Impfpflicht zumindest für alle Menschen ab 50 sinnvoll sein. „Diese muss jedoch klar formuliert und rechtssicher anwendbar sein.“
Ob der Kompromissvorschlag aus den Reihen der Ampel-Koalition diesen Anforderungen genüge, bezweifele er. „Denn er ist offenbar mit sehr heißer Nadel gestrickt.“
Lauterbach: Glaube an „Sieg der Vernunft“
Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach, der den Kompromissweg mitträgt, erklärte per Kurznachrichtendienst „Twitter“, er glaube nach wie vor an einen „Sieg der Vernunft“. Die Gesellschaft verlange zunehmend Lockerungen – der Druck sei „immens“.
Ohne Impfpflicht aber müssten Lockerungen im Herbst wieder enden. Mit dem Kompromissangebot ließe sich ein neuerlicher Lockdown vermeiden, „weil ungeimpfte Ältere geschützt wären“.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann, erklärte, mit Blick auf Herbst und Winter sei eine hohe Impfquote in der Bevölkerung wichtig. Sie persönlich wünsche sich, „dass eine gute Vorbereitung auf die nächste Welle nicht durch Parteipolitik verhindert wird“, sagte Reimann am Rande einer Pressekonferenz zum neuen Krankenhaus-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK am Dienstag in Berlin.
Karagiannidis: Wir müssen Immunitätslücke schließen!
„Alles, was wir präventiv tun können – und dazu gehört die Impfung gerade der Über-50-Jährigen –, wird uns im nächsten Herbst und Winter zugutekommen“, machte dort auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Professor Christian Karagiannidis, deutlich. Deutschland weise noch immer eine „Immunitätslücke“ auf, die deutlich größer sei als etwa in Großbritannien und die dringend geschlossen werden müsse, sagte Karagiannidis, der auch Mitglied des Corona-Expertenbeirats der Bundesregierung ist. (hom)