Brandbrief an Spahn und Scholz
Pflegeangehörige fühlen sich von Politik stiefmütterlich behandelt
Pflegeangehörigen-Verbände kritisieren die Koalition scharf: Das Entlastungsbudget lasse weiter auf sich warten – und auch die Dynamisierung von Pflegeleistungen drohe verschleppt zu werden.
Veröffentlicht:Berlin. Pflegeangehörige fühlen sich von der Bundesregierung im Stich gelassen. So habe es die Koalition bislang versäumt, das angekündigte Entlastungsbudget umzusetzen, schreibt die Vorsitzende des Vereins „Pflegende Angehörige“, Kornelia Schmid, in einem „Offenen Brandbrief“ an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Sie sei diesbezüglich „zutiefst enttäuscht“ von der Koalition, kritisiert Schmid in ihrem Brief. Das Schreiben liegt der „Ärzte Zeitung“ vor.
Noch fassungsloser mache sie, dass die Bundesregierung versuche, „im Wirrwarr von Corona und Bundestagswahlkampf still und klammheimlich der ursprünglich beabsichtigten und als notwendig dokumentierten Anpassung der Leistungsbeiträge nicht mehr nachzukommen“.
Anpassung gesetzlich verankert
Das Gesetz zur Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung verpflichte die Bundesregierung jedoch dazu, die Notwendigkeit höherer Pflegeleistungen spätestens 2020 zu überprüfen und im Jahr darauf im Leistungsrecht entsprechend anzupassen, erinnert Schmid. Das sei nicht geschehen.
Zwar habe Spahn in seinem im Herbst 2020 veröffentlichen Eckpunktepapier zur Pflegereform eine Erhöhung der Pflegeleistungen um fünf Prozent vorgeschlagen – jedoch erst ab Juli 2021. Dadurch entgingen den Pflegebedürftigen und ihren Familien bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres hochgerechnet eine Milliarde Euro.
Da die Pflegereform „offiziell abgesagt“ sei und in den Ankündigungen zum Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) kein Hinweis mehr auf die fünfprozentige Leistungsanpassung zu finden sei, „gehe ich davon aus, dass unsere Bundesregierung den Pflegebedürftigen und ihren Familien auch die zweite Milliarde Euro Anpassung in diesem Jahr verwehren will“.
Das dürfe unter keinen Umständen passieren, betont Schmid. Spahn und Scholz sollten ihre parteipolitischen Auseinandersetzungen nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und deren Familien austragen.
Leistungen flexibler ausgestalten
Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Dr. Andreas Westerfellhaus (CDU), hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, Pflegebedürftigen im häuslichen Setting zwei Budgets vorzuhalten: ein Pflege- und ein Entlastungsbudget. Die verschiedenen, teils verworrenen Leistungen der Tages- und Nachtpflege etwa könnten dann „endlich flexibel und je nach Lebenssituation passend abgerufen werden“. Zudem solle die Familienpflegezeit durch eine Geldleistung ergänzt werden.
Die Einführung eines Entlastungsbudgets ist im Koalitionsvertrag 2018 festgeschrieben. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass es in dieser Wahlperiode nichts mehr damit wird. Zur Begründung verweisen sie auf hohe Folgekosten, was die in der Coronakrise ohnehin strapazierte Finanzlage der Kranken- und Pflegekassen zusätzlich belasten würde.