Reformbedarf
Statt „tradierter“ Klinikstrukturen: Pflegeverband will Zentren zur Primärversorgung
Deutschland leistet sich ein teils überholtes Gesundheitssystem, kritisiert der Berufsverband für Pflegeberufe. Er fordert radikales Umdenken: mehr Zentren zur Primärversorgung mit Pflegekräften zur Ersteinschätzung.
Veröffentlicht:
Verbindet Grundsatzkritik am Gesundheitssystem mit der Forderung nach Primärversorgungszentren: Professor Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe.
© Georg Moritz, Berlin
Berlin. Pflegeverbände fordern eine Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Dazu sei die die Primärversorgung nach dem Vorbild Schwedens oder den USA zu stärken, sagte die Projektleiterin „Community Health Nursing“ beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Manuela Völkel, am Mittwoch der „Ärzte Zeitung“.
DBfK-Präsidentin Professor Christel Bienstein hatte zuvor kritisiert, Deutschland leiste sich ein „altes, tradiertes System“ mit vielen Krankenhäusern. Nötig seien mehr Primärversorgungszentren, „wo Menschen ganz schnell hinkommen und sich einschätzen lassen können“, sagte Bienstein am Mittwoch im „ZDF-Morgenmagazin“. Patienten sollten dort auch über Nacht beobachtet werden können, um abklären zu können, ob ein Krankenhausaufenthalt tatsächlich angezeigt sei.
„Es geht um ganzheitliche Begutachtung“
Bei der „Ersterfassung“ eines Patienten in einem Primärversorgungszentrum gehe es um eine „ganzheitliche Begutachtung“, betonte DBfK-Projektleiterin Völkel. „Nur so lässt sich ja überhaupt ermitteln, ob das Problem des Patienten ein medizinisches ist oder ob es vielleicht ganz andere, etwa pflegerische oder soziale Ursachen hat.“
Die Ersterfassung könne von einer qualifizierten Pflegefachkraft übernommen werden. „Voraussetzung muss eine akademische Ausbildung sein“, sagte Völkel. Kompetenzen und Erfahrungen von Pflegeprofis würden im hiesigen Gesundheitssystem bislang zu wenig genutzt.
Primärversorgungszentren stellten eine wichtige Ergänzung der Arbeit in Hausarztpraxen und Krankenhäusern dar, betonte Völkel. „Wir wollen den Ärzten keine Tätigkeiten wegnehmen, sondern die Zusammenarbeit verbessern.“ Die Robert-Bosch-Stiftung habe 2015 bereits 13 Modellprojekte zu sogenannten Portzentren aufgelegt und evaluiert. „Die Ergebnisse sind ermutigend.“
Hausärztemangel spitzt sich zu
In einer Studie zum Neustart der Primärversorgung hatte die Robert-Bosch-Stiftung kürzlich betont, der demografische Wandel und die damit einhergehende Verschiebung des Krankheitsspektrums hin zu mehr chronischen Erkrankungen stellten die Primärversorgung vor eine Belastungsprobe.
Im Jahr 2035 könnten Modellierungen zufolge rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt sein. Vor diesem Hintergrund brauche es einen Ausbau der Primärversorgung mit multiprofessionellen Strukturen und Zentren.