Nutzenbewertung

Pharmafirmen wollen Sitz und Stimme im GBA

Mehr Meinungsvielfalt bei der frühen Nutzenbewertung fordern die forschenden Pharmahersteller. Bleibt es bei der Bewertung unter dem Primat der Kostendämpfung, werde die Attraktivität Deutschlands als Innovations-Standorts aufs Spiel gesetzt.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:

INGELHEIM. "Wir wollen einen ressortübergreifenden Dialog unter Beteiligung von Wissenschaft und Arzneimittelherstellern einrichten, um den Standort Deutschland für Forschung und Produktion zu stärken." So steht es im Koalitionsvertrag.

Mit welchen Forderungen die forschenden Pharmahersteller in diese Gespräche gehen, machte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), diese Woche während zweier Besuche bei Mitgliedsfirmen deutlich: Am Montag bei Bayer und drei Tage später bei Boehringer Ingelheim.

Demnach wünschen sich die großen Pharmahersteller vor allem eine Beschränkung der Doppelfunktion des GKV-Spitzenverbandes innerhalb der frühen Nutzenbewertung.

Dass der oberste Kassenverband sowohl im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der über den Zusatznutzen entscheidet, vertreten ist, als auch Partei bei den Verhandlungen um den Erstattungsbetrag, ist den Firmen ein Dorn im Auge.

Statt sich auf die Rechtsaufsicht zurückzuziehen, müsse das Gesundheitsministerium bei der Nutzenbewertung stärker gestaltend eingreifen. "Die Politik hat der Selbstverwaltung alles übertragen. Das ist inzwischen kontraproduktiv geworden", sagte Fischer am Donnerstag in Ingelheim. Innovationen würden überwiegend allein aus der Kostenperspektive der Kassen bewertet.

In der Konsequenz, so Fischer, werde deren "Nutzen kleingerechnet", etwa durch exzessive Subgruppenbildung. Der Stellenwert, den neue Präparate für die Versorgung haben könnten, gerate völlig aus dem Blickfeld. Am eklatantesten zeige sich das bei den Antidiabetika.

So etwa nahm Boehringer Ingelheim vor zwei Jahren seinen DPP-4-Hemmer Linagliptin aus dem hiesigen Markt, weil man keinen Preis auf Generikaniveau zugestehen mochte. Aus dem gleich Grund stoppte kürzlich auch Novartis den Vertrieb seines Vildagliptin.

Mit der Bewertung der beiden ersten Vertreter der neuen Wirkstoffklasse der SGLT2-Inhibitoren, Dapagliflozin und Canagliflozin, senkte das IQWiG gleich den Daumen über ein ganz neues Therapieprinzip. Auf dem demnächst auch Boehringer Ingelheim mit dem Wirkstoff Empagliflozin antritt. Im Mai erfolgte die europaweite Zulassung durch die EU-Kommission.

Schrittinnovationen nichts wert?

Damit die Interessen der Industrie bei der frühen Nutzenbewertung angemessen berücksichtigt werden, fordert vfa-Chefin Fischer eine Beteiligung sowohl der Hersteller als auch der wissenschaftlichen Fachgesellschaften an den Entscheidungsprozessen im GBA.

Stefan Rinn, seit März neuer Deutschlandchef von Boehringer Ingelheim, erhofft sich von dem bevorstehenden Dialog zwischen Pharmarepräsentanten, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Gesundheitsministerium auch eine Diskussion darüber, "was in Deutschland als Innovation anerkannt wird".

Wenn man Schrittinnovationen per se keinen Zusatznutzen zugestehe, so Rinn, dann drohe nicht nur die Versorgung auf Generikaniveau zu verharren, sondern auch die Forschung ins Stocken zu geraten.

Zu Preisen auf Nachahmerhöhe, wie sie der Gesetzgeber derzeit von neuen Präparaten mit dem GBA-Befund "ohne Zusatznutzen" fordert, ließen sich Forschungsausgaben jedenfalls nicht refinanzieren.

Rinn machte deutlich, dass die Forderung nach innovationsfreundlicheren Rahmenbedingungen in Deutschland nicht zuletzt von der Wertschöpfung derjenigen Unternehmen gedeckt ist, die hier nicht nur ihre Produkte vermarkten, sondern auch forschen, entwickeln und produzieren.

So habe beispielsweise Boehringer Ingelheim 2013 lediglich sieben Prozent seines Umsatzes von insgesamt 14 Milliarden Euro im Heimatmarkt erwirtschaftet. Dagegen entfielen 46 Prozent der konzernweiten Investitionen in Sachanlagen auf inländische Standorte.

Noch höher fiel der Anteil Deutschlands an den weltweiten Forschungsausgaben des rheinhessischen Familienunternehmens aus: 68 Prozent (1,9 Milliarden Euro). Und mit 13.900 Mitarbeitern sind rund 30 Prozent der Konzernbelegschaft im Inland tätig.

Mit rund 900 Millionen Euro, die Boehringer 2013 in Deutschland gezahlt hat, gebe man mehr an die Allgemeinheit zurück, als man von der GKV erhalte, versicherte Rinn.

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