Europäischer Gesundheitskongress
Radikale Klinik-Reformen als Blaupause?
Ist die kleinteilige Klinikstruktur in Deutschland noch zu halten? Experten mahnen ein Umdenken an. Dabei schielen sie mal bewundernd, mal mit Entsetzen nach Dänemark.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Etwa 320 Spezial-Kliniken mit optimaler Ausstattung und Personal – ist das die Kliniklandschaft der Zukunft? Beim Europäischen Gesundheitskongress in München diskutierten Experten das am vergangenen Donnerstag kontrovers.
Professor Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, argumentierte für weniger, aber dafür gute Kliniken.
„Wir müssen uns fragen: Wollen wir kleine, schlechte Krankenhäuser um die Ecke haben, oder wollen wir einige Minuten fahren zu Krankenhäusern mit guter Qualität“, so Busse. Das Land könne eine Umstrukturierung bewältigen. Deutschland brauche weder die rund 1900 Kliniken noch eine halbe Million Betten.
Wohnortnähe als Vorteil?
Diese kleinteilige Struktur werde oft damit gerechtfertigt, Notfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle wohnortnah zu behandeln. Das aber sei medizinisch keineswegs das Beste. So hätten fast zwei von drei Kliniken keine Koronar-Angiografie und eines von drei keine Computertomografie.
Damit entfielen wichtige Elemente für Herzinfarkt- und Schlaganfallversorgung. Hinzu komme, dass Fachärzte oft erst aus der Rufbereitschaft geholt werden müssten und ein Großteil der Kliniken nur kleine Fallzahlen etwa bei der Behandlung von Patienten mit Herzinfarkten aufweise.
Für die Patienten aber seien die Ergebnisse dort besser, wo pro Jahr wenigstens einige hundert Herzinfarktpatienten behandelt würden. Es gebe dann bis zu einem Drittel weniger Sterbefälle. Bei vielen ambulant behandelbaren Patienten würde dagegen in Deutschland immer noch zu viel stationär behandelt. Das vergeude Ressourcen.
„Der Strukturwandel ist unvermeidlich“, sagte Dr. Ralf Langejürgen, Leiter des Verbandes der Ersatzkassen in Bayern. Bürger seien durch qualitative Aspekte sehr wohl zu überzeugen. „Das versteht jeder, dass er dreißig Kilometer fahren muss statt zwanzig Kilometer“, betonte Langejürgen.
„Wir haben eine gewachsene Struktur in Deutschland“, entgegnete Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Viele Bürger wollten die wohnortnahen Kliniken behalten, die zudem Geld und Arbeitsplätze in die Region brächten. Solle es Änderungen geben, müssten sich zudem die Zuständigkeitsebenen in Kommune, Land und Bund einigen. In den Gemeinden sei das Thema unpopulär.
Es droht die Abwahl-Keule
„Es sind Kollegen abgewählt worden, weil sie Krankenhäuser geschlossen haben“, sagte Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistages. Das erkläre, warum sich Politiker zurückhielten. Gegen Umstrukturierungen stellte sich Bernreiter aber nicht.
Es müssten bei Änderungen die regionalen Bedarfe berücksichtigt werden. „Wir müssen Häuser festlegen, die unabdingbar sind, und solche, wo wir uns etwas anderes vorstellen können“, so der Landkreistagspräsident.
So könnten kleine Krankenhäuser beispielsweise in Gesundheitszentren umgewandelt werden, statt sie zu schließen. „Wir müssen diese Diskussion standortbezogen führen“, ergänzte Hasenbein. Nur dann, wenn die Bevölkerung vor Ort mitziehe, könne ein Strukturwandel gelingen.
Setzen sich Bürger mit der Versorgung auseinander, kann das Änderungen sogar beschleunigen. So lautete das Fazit von Julian Weyer, Partner des dänischen Unternehmens C.F. Möller. Dieses ist beteiligt an der Umstrukturierung der Krankenhausversorgung in Dänemark.
Wenige, spezialisierte Großkliniken, Ausbau kleiner Häuser zu Unfallkliniken, oder Umwandlung in Gesundheitszentren – was dort zum Teil schon umgesetzt ist, ähnelt den Ideen hierzulande. „Es hat dieselben Diskussionen im Voraus gegeben“, so Weyer. Da seien es noch 56 Kliniken gewesen, statt der nun 21 Häuser (wir berichteten).
„Der Beschluss war, Qualität geht vor Nähe.“ Nun gibt es ein Krankenhaus für 265.000 Einwohner. Das größte davon in Aarhus ist inzwischen in Betrieb, die Umwandlung kleiner Häuser in Gesundheitszentren zu etwa zwei Drittel fertig.
Die Bürger hätten von sich aus begonnen, sich vor allem ambulant behandeln zu lassen, und bei Kliniken die universitären zu bevorzugen. Die neuen Strukturen würden akzeptiert. „Das wird grundsätzlich angenommen und funktioniert auch“, sagte Weyer.