Kommentar zur Pflege

Ratlos nach Richterspruch

Von Thomas Trappe Veröffentlicht:

Ein Urteil des Landgerichts Görlitz lässt die Mitarbeiter eines Pflegeheims in Zittau ratlos zurück - und nicht nur diese. Denn es könnte ein Signalcharakter haben, und es wäre kein gutes Signal.

Wen können wir noch mit der Betreuung von Bewohnern betrauen, ohne Gefahr zu laufen, später von der Krankenkasse wegen eines "vermeidbaren" Unfalls verklagt zu werden? Die Konsequenz des Richterspruchs müsste lauten: Ungelernte Kräfte müssen immer dann vom Patienten ferngehalten werden, wenn Unfallgefahr droht, weil nur der Einsatz einer geschulten Fachkraft vor Schadenersatzansprüchen zu schützen scheint.

Das kommt faktisch einem Ausschluss vieler unentbehrlicher und meist sehr engagierter Helfer aus der täglichen Pflege gleich. Seien es nun Studenten, Jugendliche im Freiwilligendienst oder andere Kräfte, die, ganz nebenbei, ihren Beitrag leisten, die Pflegekassen zu entlasten.

Wer den Alltag in der Pflege und die teils verzweifelte Suche nach Arbeitskräften mancher Heime in der Provinz kennt, weiß, dass es ohne Hilfskräfte nicht geht.

Das Görlitzer Urteil beschwört die perfekte Pflege, die es ohnehin nicht geben kann. Zudem ist der verstärkte Einsatz von Hilfskräften politisch erwünscht. Das Urteil diskreditiert darüber hinaus die freiwilligen Helfer.

Lesen Sie dazu auch: Unfall im Heim: Richterin will omnipräsente Pflegefachkräfte

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 05.08.201408:34 Uhr

mir scheint hier eine Kompetenzüberschreitung des Gerichts vorzuliegen.

Ein solches Urteil setzt voraus, dass eine KAUSALITÄT zwischen dem Unfall und den Status der Pflegekraft unstrittig ist.
Das bezweifle ich.

Brigitte Bührlen 03.08.201415:45 Uhr

Für wen bringt das Urteil Vorteile, für wen Nachteile?

Interessantes Urteil, das wohl um die rechtliche Verantwortlichkeiten bei Stürzen bemüht ist, um dem Kostenträger Krankenkasse eine rechtliche Grundlage zu geben wann bezahlt werden muss und wann nicht. Unter diesem Aspekt ist das Urteil am Wohle der Krankenkassenfinanzen ausgerichtet.

Am ganzheitlichen Wohlergehen von Pflegebedürftigen, die Zuwendungszeiten auch ohne technische, professionelle Pflegeleistungen brauchen, ist das Urteil sicherlich nicht ausgerichtet.

Was für ein Heim gilt muss möglicherweise über kurz oder lang auch zu Hause gelten. Wie können die Kassen zusehen, dass zu Hause Versicherte im wesentlichen von "Laien", von Angehörigen betreut werden und durch fehlende oder unprofessionelle Betreuung stürzen und Kosten verursachen?

Für wen sind Gesetze gemacht: Für den Bürger oder andersherum?
Wenn Gesetzesauslegungen dazu führen, dass Menschen sich nicht mehr bewegen dürfen, weil gerade keine professionelle Aufsichtsperson in der Nähe ist, dann wird es absurd.

Ina Grütze-Horenkohl 01.08.201421:12 Uhr

Das kommt faktisch einem Ausschluss vieler unentbehrlicher und meist sehr engagierter Helfer

NEIN! denn schon heute sind Schüler allein für eine ganze Station zuständig, keiner zeigt Ihnen die Grundlagen der Pflege, ein Schlaganfall wird oft zu spät erkannt, Zeit zur Versorgung der Bewohner reicht vorn und hinten nicht, Dokumente (Trink-und Lagerungsprotokolle) werden manipuliert, von fehlender Lagerung und Dekubitusversorgung ganz zu schweigen wäre hier auch nicht angebracht.
Hier im aktuellen Fall geht es darum; Das Heim hat einen Versorgungsauftrag und bei dementen Bewohnern auch eine Aufsichtspflicht. Schüler und FSJler, sowie die freiwilligen Helfer, das ist Fakt sind unentberlich!, sollten die Aufgaben der Fachkräfte zwar unterstützen, aber nicht selbständig ausführen, weil ihnen ganz einfach das erforderliche Wissen und die Erfahrung mit Krankheitsbildern und Notsituationen fehlen.
In diesem Fall war der Schwindel und das schwankende Gangbild, sowie die fehlende Kraft der Bewohnerin bekannt, so dass mindestens eine weitere Person hätte dabei sein müssen und so den Sturz verhindern zu können.
Jeder der hier meint, dieses Urteil sei nicht rechtens, den empfehle ich nur selbst sich als Pflegeperson in eines dieser Heime zu begeben und die Erfahrung am eigenen Leib zu machen.
Schauen Sie mit offenen Augen in die Dokmentationen der Bewohner in vielen Einrichtungen wird weiter noch abgezeichnet für Dinge, die nicht oder durch andere Personen erledigt werden, d.h. dass selbst bei Pflegefehlern die Fachkraft ihren Kopf hinhalten muss für eine Versorgung, die sie nicht ausgeführt bzw. eine FSJler oder Hilfskraft erledigt hat.
Ich wünsche mir, dass dieses Urteil unsere Politiker endlich zum Handeln veranlssst.

Dr. Berthold Neu 01.08.201418:23 Uhr

Bestürzung über mittelbare Täterschaft - unglaubwürdig!

Das Urteil ist zu vorbehaltlos zu begrüßen! Viel zu lange haben Staat und Organisationsverantwortliche vor Ort die Augen davor verschlossen, daß Ehrenamtliche, Praktikanten, Azubis und anderern Hilfkräfte - nicht nur im Gesundheitswesen - die Systeme noch am Laufen hielten. (Das sind die gleichen Befürworter, die jedweden Hartz-IV-Empfänger in die Altenheime und Senioren in die Kindertagesstätten schicken wollen). Ausgebildetes Pflegepersonal, das täglich maximal ausgenutzt wird, kommt unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen kaum umhin, Tätigkeiten auf ungelernte Kräfte zu verlagern. Aber das war noch niemals rechtens, nur eine profitable Gewohnheit. Im Schadensfall wird dann meist von - angeblich unwissenden - kaufmännischen Entscheidungsträgern auf die alleinige medizinisch-fachliche Vorantwortlichkeit verwiesen und die Justiz gibt sich mit dem Bauernopfer zufrieden. Schön zu sehen, daß auch endlich die „Täter hinter dem Täter" herangezogen werden. Vielleicht wird ja die Justiz endlich mal empfänglich für „Geschäftsführerhaftung" im Krankenhaus- und übrigen Gesundheitswesen.

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