Volk müsste entscheiden
Frankreich diskutiert über Grundrecht auf Abruptio
Die Linksparteien im französischen Parlament wollen das geltende liberale Abtreibungsrecht mit Verfassungsrang versehen. Dafür wäre eine Volksbefragung nötig. Die Regierung Macron aber will diesen Schritt nicht gehen.
Veröffentlicht:Paris. In Frankreich beschäftigt das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch die Nationalversammlung. Französische Abgeordnete wollen das Recht auf einen Abbruch in der Verfassung verankern, um eine eventuell künftige Streichung des Gesetzes, das seit 1976 existiert, unmöglich zu machen.
Ende November vergangenen Jahres hatte die Nationalversammlung dazu fast einstimmig einen entsprechenden Vorschlag vieler Linksabgeordneter angenommen. Ihre Begründung: Die Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court, der im Mai 2022 eine frühere Grundsatzeinscheidung nach fast 50 Jahre gekippt und das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene aufgehoben hatte. Ebenso verweisen die Abgeordneten auf Bestrebungen von EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die restriktivere Regeln für die Abruptio etablieren wollen.
Am 1. Februar will der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, den Entwurf debattieren und abstimmen. Doch auch im Falle einer Zustimmung würde der Weg zu einer Verankerung des Rechts auf eine Abruptio in der Verfassung juristisch und politisch weit sein.
Präsidenten machten schlechte Erfahrungen mit Volksabstimmungen
Obwohl die Linksparteien diesen Schritt für dringend nötig halten, erinnerte vor einigen Wochen der bürgerlich-regierte Senat daran, dass dieses Recht in Frankreich weder aktuell noch in den kommenden Jahren real bedroht sei – kein Politiker, keine Partei stelle die geltende Rechtslage in Frage. Vor allem aber würde eine Verankerung in der Verfassung eine Volksabstimmung erfordern, weil das Parlament ohne Zustimmung des Volkes oder der Regierung – die sich mit dieser Frage nicht befassen will – die Verfassung allein nicht ändern darf.
Indes sind Volksabstimmungen in Frankreich ein heikles Terrain. Seit 1958 ist im Nachbarland die Verfassung 22 Mal ergänzt oder geändert worden. Bis auf ein Mal kam dazu die Initiative immer von der Regierung, die dazu die Zustimmung des Parlaments – Nationalversammlung und Senat – benötigt. Denn rechtlich geboten ist eine Volksabstimmung nur dann, wenn das Parlament die Verfassung ohne Unterstützung der Regierung ändern will.
Allerdings endeten Befragungen des Souveräns in den meisten Fällen für die Regierung mit einem politischen Debakel – auch Charles de Gaulle trat 1969 nach einer verlorenen Volksabstimmung zurück, ebenso erlitten die Präsidenten Mitterrand und Chirac bittere Abstimmungsniederlagen.
Das Thema Abtreibung könnte das Land spalten
Entsprechend gering ist die Bereitschaft der Regierung von Emmanuel Macron, diesen Schritt zu tun – eine Volksabstimmung könnte sich rasch zu einem Votum über die Präsidentschaft Macrons entwickeln. Hinzu kommt: In der Vergangenheit votierten die Franzosen oft konservativer als die Abgeordneten, denn das Thema Abruptio könnte das Land bei einer erneuten Debatte tiefer spalten, als viele Parlamentarier glauben.
Derzeit drängen Linksparteien und Frauenorganisationen sowie viele Künstler oder Schriftsteller den Senat, einer Verankerung in der Verfassung zuzustimmen. Geworben wird dafür mit dem Argument, es gehe um ein „Signal an die Frauen in der ganzen Welt“. Indes halten Juristen das ganze Verfahren für rechtlich und politisch langwierig und unwägbar. Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass auch eine Zustimmung beider Parlamentskammern zum Verfassungsrang des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch am Ende des Tages nur symbolischen Charakter haben wird.
In Deutschland hat sich die Ampel-Koalition eine Stärkung des „Selbstbestimmungsrechts“ von Frauen auf die Fahnen geschrieben. Allerdings ist im Koalitionsvertrag lediglich die Einsetzung einer Kommission für „reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ vorgesehen, die Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch „außerhalb des Strafgesetzbuches“ ausloten soll.
Ankündigungen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), den geltenden Paragrafen 218 Strafgesetzbuch ganz abschaffen zu wollen, stoßen indes beim Koalitionspartner FDP auf große Vorbehalte.