Kritik nach Erklärung

Regierung sieht keine wissenschaftliche Begründbarkeit der Zuckersteuer

Zuckerhaltige Softdrinks sind laut WHO eine Ursache für Adipositas und Diabetes. Die Getränke gehörten extra besteuert. Doch Deutschland ziert sich. Die Begründung mutet für Manchen kurios an.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
In Deutschland wird eine Extra-Abgabe für zuckergesüßte Getränke kontrovers diskutiert.

In Deutschland wird eine Extra-Abgabe für zuckergesüßte Getränke kontrovers diskutiert.

© Jens Wolf / dpa

BERLIN. Damit Verbraucher weniger zuckerhaltige Softgetränke konsumieren, rät die Weltgesundheitsorganisation (WHO), solche Getränke mit einer Sonderabgabe zu belegen. Gefolgt sind der Empfehlung unter anderem Mexiko und Großbritannien. In Mexiko wurde die Abgabe schon 2013 beschlossen. Großbritannien erhebt seit 2018 – je nach Höhe des Zuckergehaltes im Getränk – umgerechnet 20 bis 27 Cent je Liter obendrauf.

Ob das Verbraucher zu einem geringeren Verzehr von süßer Limo anreizt, darüber wird in Deutschland seit längerer Zeit gestritten. Jetzt ist die Kontroverse neu entbrannt. So betont die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Katharina Willkomm, die Einführung einer Steuer auf zuckerhaltige Getränke lasse sich nach den „derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht begründen“

Es gebe auch keine Hinweise, dass die in Großbritannien geltende Steuer „zu einer Verringerung der Häufigkeit von Übergewicht oder Adipositas sowie von ernährungsbedingten Krankheiten geführt hat“.

„Reduktion nicht ausreichend“

Weiter schreibt die Regierung: „Eine Beschränkung der Zuckerreduktion auf eine einzelne Lebensmittelgruppe, wie hier zuckergesüßte Getränke, wird als nicht ausreichend angesehen, um das vielschichtige Problem von Adipositas und ernährungsbedingten Krankheiten zu lösen.“

Effekte der Zuckersteuer treten erst verzögert ein.

Dr. Sigrid Peter, Vizepräsidentin des Deutschen Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte

Im Rahmen der nationalen Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Lebensmitteln setze man „vor allem auf freiwillige Zielvereinbarungen“ mit der Industrie. Damit sollten viele der Fertigprodukte bis 2025 allmählich neue Rezepturen bekommen.

Für Dr. Sigrid Peter, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, ist die Antwort der Regierung eine Provokation. Damit ignoriere sie den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur guten Wirksamkeit einer Zuckersteuer.

Es sei „unseriös“, bereits ein Jahr nach Einführung der Softdrinksteuer in Großbritannien Auswirkungen auf die Prävalenz von Übergewicht und ernährungsbedingten Krankheiten zu erwarten. „Diese entwickeln sich über Jahre, deshalb werden die Effekte erst verzögert eintreten“, betont Peter.

Kinderärzte wie Sigrid Peter sind auch deshalb alarmiert, weil die Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher seit der Jahrtausendwende auf konstant hohem Niveau liegt. Laut dem Berliner Robert Koch-Institut sind rund 15 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen von Übergewicht und sechs Prozent von Fettleibigkeit betroffen.

Kritik an Regierungserklärung

Unverständnis über die Antwort der Regierung äußern auch Vertreter der Krankenkassen. „Steuerliche Anreize sind eine wissenschaftlich beglaubigte Methode, um Einfluss auf das Kaufverhalten zu nehmen“, sagt Dr. Kai Kolpatzik, Präventionsexperte beim AOK-Bundesverband.

Für gut 50 Prozent der Verbraucher spiele der Preis beim Einkauf eine Rolle. „Dementsprechend gibt es viele Vorschläge, wie gesunde Lebensmittel niedriger und ungesunde höher besteuert werden können“, betont Kolpatzik.

FDP-Politikerin Willkomm hingegen verweist auf ein Problem, das der Konzeption der Zuckersteuer anhafte: „Sie ist eine Vermeidungssteuer, die über finanziellen Druck funktionieren soll“, so die verbraucherpolitische Sprecherin der FDP. In Großbritannien bleibe die Abgabe ohne die erhoffte Wirkung.

Augenwischerei bei der Zuckerreduktion?

So hätten „Platzhirsche wie Coca Cola und Pepsi“ entgegen den Erwartungen nicht die Rezepturen ihrer Zucker-Limos geändert. „Stattdessen haben sie zur Steuervermeidung lediglich ihre Werbung mehr auf Light-Produkte fokussiert.“

Zuckerhaltige Cola sei für viele ein „Genussmittel“, sagt Willkomm. Sogar beim gefährlicheren Tabak zeige sich, dass trotz steigender Tabaksteuer die Zahl der Raucher nur marginal sinke. „Viel größeren Einfluss auf die sinkende Zahl der Raucher haben die Einführung der Ekel-Bilder auf Packungen, soziale Ausgrenzung durch das Rauchverbot in Restaurants und verstärkte Werbeverbote.“

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 19.08.201911:03 Uhr

Pro und Contra Zuckersteuer

Laut Stiftung Warentest enthalten handelsübliche Orangensäfte mit 100 % Fruchtanteil zwischen 8,8 und 9,4 Gramm Zucker pro 100 ml
https://www.vergleich.org/orangensaft/?msclkid=9a0180b1711416741056ddeb3a92bd9b

100 ml Cola enthält durchschnittlich 10,6 g[44] Zucker (entspricht etwa 3 Zuckerwürfeln) und 10 mg Koffein (zum Vergleich: 100 ml Filterkaffee enthält etwa 64–96 mg Koffein.[45])[3]
https://de.wikipedia.org/wiki/Coca-Cola

Reiner Apfelsaft hat sortenabhängig einen fruchteigenen Zuckergehalt von etwa 10 g pro 100 ml.

Ein Spitzenreiter beim Zuckergehalt ist Schweppes Original Bitter Lemon mit 12,1 Gramm Zucker je 100 ml.

Der Mehrwertsteuer-Satz (MwSt) beträgt seit 1. Januar 2007 bereits 19 Prozent auf Getränke. Egal ob alkoholfreie oder alkoholhaltigem Getränke, die allgemeine Ermäßigung der MwSt auf 7 Prozent bei Lebensmitteln gilt hier nicht. Während beispielsweise für Möhren sieben Prozent Steuer zu zahlen sind, beträgt der Aufschlag für Möhrensaft (6 Gramm Zucker auf 100 ml) 19 Prozent.

Eine allgemeine, über die Mehrwertsteuer hinausgehende, zusätzliche Zucker-Besteuerung hat m. E. keine öko-trophologische Zielsetzung. Sie ersetzt das Prinzip einer ethisch-bio-psycho-sozial begründeten Gesundheits- und Ernährungspädagogik durch reine Monetik.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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