Kurswechsel gefordert

Ruf nach neuer EU-Krebspolitik

Die EU trampelt mit ihrem Plan zur Krebsbekämpfung alte Pfade weiter aus, befürchten Europaparlamentarier und Wissenschaftler. Stattdessen sollte die Schadensminimierung stärker in den Fokus rücken.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Geht der EU-Plan zur Krebsbekämpfung, den die EU-Kommission bald vorstellen will, in die richtige Richtung? Das sehen einige Abgeordnete und Wissenschaftler nicht so.

Geht der EU-Plan zur Krebsbekämpfung, den die EU-Kommission bald vorstellen will, in die richtige Richtung? Das sehen einige Abgeordnete und Wissenschaftler nicht so.

© Winfried Rothermel / dpa

Brüssel. Europa-Abgeordnete verschiedener Fraktionen, aber auch Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen befürchten, dass die EU-Kommission mit ihrem europäischen Plan zur Krebsbekämpfung, der laut EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides noch dieses Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll, falsche Prioritäten setzt und falsche Wege geht.

Das zeigte am Dienstagabend eine virtuelle Diskussionsrunde des italienischen Think Tanks icom in Brüssel unter dem Motto „What Role can the European Parliament Play in Europe‘s Beating Cancer Plan? Best Practices on Cancer Prevention across Europe“.

Vermehrt auf wissenschaftliche Erkenntisse stützen

Professor Heino Stöver, an der Frankfurt University of Applied Sciences Leiter des Instituts für Suchtforschung, appellierte an die EU-Parlamentarier sowie an die Parlamentsabgeordneten der einzelnen Mitgliedstaaten, sich im Zuge der Krebsprävention vermehrt auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen und mehr Flexibilität zu wagen.

Konkret fordert er in der EU mehr Aufmerksamkeit für das schadensminimierende Potenzial, das E-Zigaretten und Tabakerhitzer für Raucher haben, die partout nicht von den Vorteilen eines Rauchausstiegs zu überzeugen sind.

Es sei im Sinne der Harm Reduction wissenschaftlich nachgewiesen, dass durch E-Dampf und Erhitzer Raucher weniger geschädigt würden, als durch den Konsum konventioneller Tabakzigaretten. Knackpunkt sei der Verbrennungsprozess, der maßgeblich Krebserkrankungen begünstige.

Methadon-Therapie als Vorbild

Stöver erinnerte daran, dass Deutschland bereits seit Jahren auf Harm Reduction setze – zum Beispiel im Bereich der Heroinabhängigkeit. Durch den konsequenten Einsatz der Methadon-Ersatztherapie seien neue HIV- sowie Hepatitis-B/C-Neuinfektionen vermieden worden. „Raucher sterben nicht an ihrer Abhängigkeit, sondern an Krebs“, mahnte Stöver zu einem offensiverem Umgang mit schadensminimierenden Optionen.

Konkret für Deutschland schlug er vor, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) solle Raucher in Kampagnen – auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützten – über E-Dampf und Tabakerhitzer aufklären. Auch sollte die Tabakregulierung nach der Schädlichkeit der einzelnen Produktkategorien erfolgen, so Stövers Plädoyer. Entsprechende Ansätze werden hierzulande auch in puncto Besteuerung von konventionellen Tabakzigaretten und Liquids für E-Zigaretten sowie Sticks für Tabakerhitzer kontrovers geführt.

Unverständnis für Werbeverbote für E-Zigaretten

Wie Clive Bates, ehemaliger Direktor des britischen Nichtraucherverbands ASH betonte, sterben in der EU jedes Jahr 700.000 Raucher, 20 Prozent davon an Krebs. Rauchbedingter Krebs sei damit weiterhin ein dominierendes Thema. Auch Bates zeigte sein Unverständnis für Werbeverbote für E-Zigaretten und Tabakerhitzer und forderte Verbraucherschutzverbände auf, sich des Themas Harm Reduction anzunehmen und die EU-Parlamentarier damit zu adressieren.

Die christdemokratische EU-Abgeordnete und ehemalige spanische Gesundheitsministerin Dolors Montserrat zeigte sich von den Forderungen nach mehr Harm Reduction bei der Krebsbekämpfung unbeeindruckt. Sie plädierte hingegen für den konsequenten Einsatz der Möglichkeiten, die die Digitalisierung inklusive Künstlicher Intelligenz bei der onkologischen Therapiefindung und Prävention böten.

Wie das Mitglied des neu etablierten Sonderausschusses des EU-Parlaments zur Krebsbekämpfung weiter bekundete, wolle sie sich dafür einsetzen, ein Hochrangiges EU-Forum zu Krebs einzurichten. Das garantiere europaweit noch mehr Aufmerksamkeit für die Prävention.

Rütteln an den Festen der Subsidiarität

Der deutsche EU-Abgeordnete und Arzt Dr. Peter Liese (CDU) legte den Finger in eine architektonische Wunde der EU – für die Gesundheitsanliegen gilt das Subsidiaritätsprinzip. „COVID-19 hat uns gezeigt, dass Gesundheit kein nationales Anliegen ist, sondern eine europäische Gemeinschaftsaufgabe“, so Liese. Er hoffe, dass diese jetzt gemachte Erfahrung positiv auf künftigen den Umgang der EU mit Krebs ausstrahle.

Der italienische EU-Parlamentarier Pietro Fiocchi von der EU-kritischen Fraktion der Konservativen und Reformisten appellierte an EU-Parlament und -Kommission, die Prioritäten neu zu justieren. „Wir brauchen mehr Fokussierung auf Krebs und weniger auf den Green Deal“, wetterte das Mitglied im Sonderausschuss des EU-Parlaments zur Krebsbekämpfung, gegen den in der jüngsten Zeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen massiv in den Fokus gestellten Green Deal zur Erneuerung der EU.

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