Interview

Rx-Versand: Ein heißes Eisen für die künftigen Koalitionäre

Bei den Sondierungsgesprächen zu einer Jamaika-Koalition dürfte auch ein unerledigtes Vorhaben der vorherigen Legislatur zur Sprache kommen: Das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der Jurist Professor Hilko Meyer beleuchtet die grundsätzliche Dimension des Themas.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Viele Apotheker befürchten einen Preiswettbewerb im Rezeptgeschäft.

Viele Apotheker befürchten einen Preiswettbewerb im Rezeptgeschäft.

© stokkete / iStock / Thinkstock

Ärzte Zeitung: Nach einem EuGHUrteil können seit Oktober 2016 ausländische Versandapotheken auf dem deutschen Markt ohne Rx-Preisbindung agieren. Die große Koalition hat sich nicht einigen können, ob ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Medikamente nötig ist und wie es umzusetzen wäre. Wie verändert das aktuell den Markt?

Prof. Hilko Meyer: Aufgrund des EuGH-Urteils gilt die deutsche Preisbindung für die ausländischen Arzneimittelversender nicht mehr, während sich deutsche Apotheker weiterhin daran halten müssen. Dieser ungleiche Wettbewerb gipfelt darin, dass Internetapotheken im Fernsehen mit Boni von bis zu 30 Euro pro Kassenrezept werben. Das hat bereits zu erkennbaren Umsatzverschiebungen zu Lasten der Apotheke vor Ort geführt.

Aus der SPD, aber auch von den Grünen kamen Vorschläge, die auf eine Deckelung der Rezeptboni hinausliefen. Hätte dies die Probleme temporär gelindert, um Zeit für eine grundsätzliche Neuregelung zu gewinnen?

Verschreibungspflichtige Arzneimittel werden ganz oder zum allergrößten Teil von der Krankenkasse bezahlt. Da hat auch ein kleiner Bonus erhebliche Hebelwirkung auf die Nachfrage. Im Wettbewerb mit finanzstarken Versendern kann die normale Apotheke da nicht mithalten.

Mit den Sondierungsgesprächen der potenziellen Jamaika-Partner liegt die Frage des Rx-Versandhandels wieder auf dem Tisch. Welche Punkte sollte dazu aus Ihrer Sicht der neue Koalitionsvertrag enthalten?

Die kurzfristige Beendigung der "Inländerdiskriminierung" muss in jedem Fall auf der Tagesordnung des nächsten Gesetzgebers stehen. Ob sich Gesundheitsminister Gröhe mit seinem Vorschlag für ein Versandhandelsverbot durchsetzen wird, oder Alternativen, etwa nach dem Muster der Buchpreisbindung, gefunden werden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall muss deutlich werden, dass es nicht allein um den Schutz einer Berufsgruppe, sondern um die flächendeckende und zeitnahe Arzneimittelversorgung der Patienten in Deutschland geht – auch außerhalb der Postzustellungszeiten.

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus diesem Frühjahr (Az.: I ZR 163/15) könnte die Rx-Preisbindung doch noch Bestand haben, wenn Deutschland und die Apothekenkammern nachweisen könnten, dass die Preisbindung erheblich zur flächendeckenden Arzneiversorgung beiträgt. Wie sehen Sie das?

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren, das zu dem Urteil des EuGH geführt hat, deutlich kritisiert, weil dort wesentliche Argumente unter den Tisch gefallen sind. Ich teile diese Kritik, denn es kann nicht richtig sein, dass ein ganzes nationales Arzneimittelpreissystem, auf dem wesentliche sozialrechtliche Gestaltungselemente wie Festbeträge, Generikasubstitution und Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel beruhen, in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren mit dem lapidaren Hinweis gekippt wird, der Nachweis der Geeignetheit zum Schutze der Gesundheit sei nicht geführt worden.

Vermutlich gegen Ende des Jahres wird in einem weiteren, 2014 angestoßenen Verfahren, das sich um die deutsche Preisbindung dreht, ein Vorlagebeschluss des OLG Köln vor dem EuGH verhandelt. Ist es denkbar, dass der EuGH seine eigene Rechtsprechung korrigiert?

Wenn das OLG Köln den vom Bundesgerichtshof eröffneten Weg beschreitet und die Bundesregierung die Gelegenheit erhält, die gesundheitspolitische Bedeutung der Preisbindung für die flächendeckende Arzneimittelversorgung nachzuweisen, werden es die Luxemburger Richter schwer haben, dies mit einem Federstrich beiseite zu schieben. Immerhin gilt nach den EU-Verträgen und der ständigen Rechtsprechung des EuGH ein Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Niveau, Ausgestaltung und Finanzierung des Gesundheitswesens.

Der EuGH hat unter Verweis auf die Binnenmarktfreiheiten tief in den Gestaltungsspielraum eines Mitgliedsstaats eingegriffen. Müssen wir uns darauf einstellen, dass diese Jurisdiktion Schule macht?

Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, sollen die Wertungsspielräume der Mitgliedstaaten gerade im Bereich des Gesundheitswesens radikal eingeschränkt werden. Ein aktuelles Gesetzgebungspaket zur Liberalisierung der freien Berufe sieht vor, dass nationale Erwägungen zur Zweckmäßigkeit ihrer gesundheitspolitischen Maßnahmen künftig von der Kommission überwacht werden sollen. Wenn dieser Vorschlag die Billigung der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments findet, wäre das EuGH-Urteil rückblickend nur der erste Einstieg in eine weitreichende Deregulierung des Gesundheitsmarktes gewesen. Noch ist dieses Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht beendet.

Professor Hilko Meyer

» Aktuelle Position: Hilko Meyer ist Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Seine Schwerpunkte liegen im Europarecht und im Recht des Gesundheitswesens.

» Meyer ist Direktor des interdisziplinären Zentrums für Gesundheitswirtschaft und -recht (ZGWR) und Mitherausgeber der Zeitschrift "Arzneimittel und Recht".

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