Karriere in der Medizin
So schaffen es Frauen an die Spitze
In Studium und Weiterbildung stellen Ärztinnen bereits die Mehrheit. Aber die Top-Jobs gehören noch meist den Männern. Chefärztinnen verraten, wie die weibliche Karriere in der Medizin gelingt.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. "Von Frauen in höheren Positionen halte ich ohnehin nichts." Als Dr. Ingrid Hasselblatt-Diedrich zu Beginn ihrer Karriere diesen Satz von ihrem Vorgesetzten hörte, wusste sie: Der Weg als Frau in der Chirurgie würde hart werden.
Heute, Jahrzehnte später, kann sie über den unvergessenen Satz lächeln. Denn hinter ihr liegen 14 Jahre als Chefärztin der Chirurgie eines Frankfurter Klinikums, 20 Jahre im Präsidium der Landesärztekammer Hessen (LÄKH), 23 im Vorstand des Hartmannbundes.
Damit ist Hasselblatt-Diedrich nicht nur Vorbild für junge Kolleginnen, sondern vor allem eines: immer noch eine Seltenheit in der hierarchischen Struktur der Medizin.
Ein Blick auf ihr Bundesland Hessen belegt das: 58 Prozent der Medizinstudierenden sind heute weiblich - doch bei den Chefärztinnen liegt die Quote laut LÄKH bei 12,5 Prozent.
Bei den ärztlichen Direktorinnen sind es gar nur gut zehn Prozent. Die Landesärztekammer hat kürzlich zum Runden Tisch geladen, Thema: "Wie gelingt weibliche Karriere in der Medizin?"
Ein Blick auf die Lebensläufe der wenigen Erfolgreichen hilft, die Frage zu beantworten. Denn sie zeigen deutlich: Karriere geschieht nicht, sie wird gemacht. Und das gilt für Frauen wie für Männer.
Begeisterung für das eigene Fach, klare Vorstellungen von der eigenen Karriere und Mut - den Grundstein für den eigenen Weg in der Medizin müssen Arzt und Ärztin selbst legen.
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In vielen Dingen aber können sich Medizinerinnen von ihren männlichen Kollegen sogar etwas abschauen: Selbstbewusstsein etwa. "Gerade Frauen sollten von Anfang an Chancen vom Arbeitgeber oder Weiterbilder einfordern", so Hasselblatt-Diedrich.
Sie selbst sagte einst: "Ich komme an Ihre Klinik - aber nur, wenn ich in den OP darf." Und das in einer Zeit, in der fordernde Frauen eben alles andere als gern gesehen waren. Heute rät sie: "Seien Sie mutig, bewerben Sie sich bei einer guten Klinik, nicht irgendeiner."
Ferner gilt: Es hilft, gut vernetzt zu sein. Förderlich für gute Kontakte und das Finden von eigenen - wichtigen - Vorbildern kann soziales oder berufspolitisches Engagement sein, betonte Christine Hidas vom Ärztinnenbund. Ganz gleich, ob in politischen Gremien, der studentischen Fachschaft oder als PJ-Sprecherin.
"Wenn man sich nicht engagiert, kann man nichts verändern", meint Professor Marion Haubitz. Die Chefärztin am Klinikum Fulda ist seit 2007 Mitglied im Sachverständigenrat des Gesundheitsministeriums. "Und wenn man noch nie ein Bewerbungsverfahren hinter den Kulissen durchlaufen hat, ist es schwer, selbst erfolgreich zu sein."
Es ist das, was gemeinhin als "breit aufstellen" bezeichnet wird. Ferienkurse, Sprachkurse, soziales Engagement. Der Weg muss dabei deutlich bleiben.
Gerade zu Beginn der Karriere ist das aber nicht immer gegeben: Die Weiterbildung ist flexibler geworden - und wird deswegen oft als "unverbindliches Gucken" wahrgenommen, beobachtet Professor Elke Jäger, Chefärztin für Onkologie und Hämatologie.
"Da kann kein Arbeitgeber helfen. Die Ärztin muss das Ziel vor Augen haben." Professor Alexandra Henneberg, niedergelassene Neurologin in Frankfurt, pflichtet bei: "Im PJ sollte man wissen, wo man später hin will."
Zur Frage, "was man später will", gehört auch die Frage "Klinik oder Praxis, allein oder im Team?". Das setzt nämlich entscheidende Rahmenbedingungen für Karrieremöglichkeiten - und wie diese mit dem Wunsch nach Familie und Kindern vereinbart werden können. Strittig bleibt nur die Frage nach dem familienfreundlichsten Modell.
Flexiblere Familienplanung mit der Einzelpraxis?
Die Einzelpraxis, in der die Ärztin als eigene Chefin auf ihre Bedürfnisse eingehen kann? Ja, sagt Monika Buchalik. Die Mutter von zwei Kindern ist Allgemeinärztin in eigener Praxis, Vizepräsidentin der Ärztekammer und bildet junge Kolleginnen weiter. "
Als meine Kinder auf die Welt kamen, war es perfekt, mein eigener Chef zu sein", erzählt sie. Sie habe zwischen den Sprechstunden stillen können, sei bei Notfällen schnell daheim gewesen - und hat das Baby, wenn die Betreuung ausfiel, in die Praxis mitgebracht. Das dürfen ihre Angestellten heute auch.
Bei der Frage nach den Rahmenbedingungen geht es auch darum, Unterstützung anzunehmen. Denn das macht keine Ärztin zu einer schlechten Ärztin, keine Mutter zu einer Rabenmutter.
Die KV etwa unterstützt niedergelassene Ärztinnen während ihrer Schwangerschaft: für drei Jahre können sie eine Sicherstellungsassistentin beantragen, pro Kind ist die Befreiung vom Bereitschaftsdienst für drei Jahre möglich. Ärztinnen tun gut daran, diese Angebote wahrzunehmen, um Beruf und Familie zu vereinen.
Oder ist nicht ohnehin die Klinik der geeignetere Ort? Chefärztin Haubitz plädiert dafür - sofern Dienstpläne flexibler gestaltet werden können. Sie selbst habe gerade mit drei schwangeren Assistenzärztinnen zusammengearbeitet. "Da haben wir die Arbeitszeitmodelle aufs Äußerste ausgereizt - und es ging."
Dieses Ausreizen, das flexible Gestalten der Arbeitszeit darf in Zukunft kein Erfolg einer einzelnen Abteilung sein, sondern muss flächendeckend möglich sein. Zwei Teilzeit-Kräfte statt einer Vollzeit-Kraft? Für den Arbeitgeber mag das minimal teurer sein, doch es ist eine Investition, die sich das System leisten muss.
Denn um Frauen im Beruf - und vor allem einer Klinik - zu halten, sind flexible Arbeitszeitmodelle unverzichtbar.
Das Frauenpotenzial wird unverzichtbar
Dass künftig mehr Frauen in den oberen Etagen zu finden sein werden, daran besteht kein Zweifel. Denn die heutigen Chefärztinnen waren auch zu Zeiten ihres Studiums in der Minderheit: 1980 war nur jeder dritte Medizinstudent in Hessen weiblich, nur 19 Prozent der abgelegten Facharztprüfungen wurden damals von Frauen absolviert. Heute sind es mit 55 Prozent die Mehrheit.
Der Stein ist ins Rollen gebracht. Und der sich zuspitzende Ärztemangel wird helfen, Tempo aufzunehmen. Von Ärztinnen in höheren Positionen nichts zu halten, kann sich im Gesundheitssystem des 21. Jahrhunderts niemand mehr leisten.