Neue Impfdebatte entbrannt
Bürger aus Sozialbrennpunkten priorisiert impfen?
Sollten Menschen in sozialen Brennpunkten bei der Corona-Impfung vorgezogen werden? Dazu ist in Deutschland eine breite Diskussion entbrannt. Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt räumt derweil mit einem Vorurteil auf.
Veröffentlicht:Berlin. Hohe Infektionsraten in einigen sozialen Brennpunkten erhöhen den Druck auf Politik und Ärzte, die Impfreihenfolge zu überdenken. So plädiert die AOK Rheinland/Hamburg dafür, den Wohnort als Faktor bei der Impfpriorisierung zu berücksichtigen. Soziale Unterschiede beeinflussten die Gesundheitschancen stark, sagte Vorstandsmitglied Matthias Mohrmann. Das sei auch in der Pandemie nicht anders.
Menschen in Brennpunkten niedrigschwellig zu erreichen sei Aufgabe von Städten und Kommunen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag in Berlin. „Ich kann nicht aus dem Bund die richtige Impfkampagne für Essen, Leipzig oder Offenbach planen.“ Der Bund könne aber den verstärkten Einsatz der Impfteams in Brennpunkten finanziell „mittragen“. Sollte es Regelungsbedarf geben, lasse sich „das etwas flexibler machen“.
Mobile Impfteams könnten unterstützen
Daneben liefen Aufklärungskampagnen. Spahn kündigte an, auch mit Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften darüber zu sprechen, „ob und auf welche Weise“ diese für das Impfen werben könnten. Städtetagspräsident Burkhard Jung hatte zuvor betont, mobile Impfteams könnten impfskeptische Menschen gezielt ansprechen – etwa vor Bau- und Supermärkten.
„Wir sollten erst die impfen, die wirklich wollen“, forderte dagegen der FDP-Politiker Florian Kluckert, der den Stadtteil Berlin-Neukölln vertritt. Es gebe dort breite Bevölkerungsschichten, die sich nicht an die „Notbremse“ hielten, sagte Kluckert der „Ärzte Zeitung“. Viele ließen ihre Impfcodes verfallen. Solange die Priorisierungsliste nicht abgearbeitet sei, sollten diese Kreise nicht bevorzugt werden.
Auch der ÖGD ist gefragt
Der Chef des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, betonte, Menschen mit Migrationshintergrund stünden der Corona-Impfung nicht per se ablehnend gegenüber. Viele Migranten ließen sich in den Praxen auf die Warteliste für eine Impfung setzen, sagte Weigeldt der „Ärzte Zeitung“. Grundsätzlich gelte: Wer vor der Pandemie regelmäßig Kontakt zu einem Hausarzt hatte, melde sich auch jetzt eher.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen betonte, die Ärzte leisteten beim Impfen „enorme Arbeit“ – manche sogar ehrenamtlich. „Doch allein können sie das nicht schultern.“ Hier sei auch der Öffentliche Gesundheitsdienst gefragt, „systematisch für Information und Aufklärung zu sorgen“, sagte Gassen im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. (Mitarbeit: af).