Coronavirus-Pandemie
Spanien will Gesundheitssystem reformieren
In vielen Regionen Spaniens ist die Coronavirus-Pandemie außer Kontrolle. Eine Reform des Gesundheitswesens soll eine Wiederholung verhindern. Unterdessen lehnt der Oberste Madrider Gerichtshof die Abriegelung der Hauptstadt ab.
Veröffentlicht:Madrid. Spaniens Gesundheitsminister Salvador Illa gab es offen zu. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen im Land sei „besorgniserregend“.
Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC empfehle bei einem 14-Tage Wert von 60 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern die Einleitung von Maßnahmen. Bei 250 Fällen seien sogar drastische Schritte zu ergreifen.
„Doch in Spanien haben wir mittlerweile 274 Fälle pro 100.000 Einwohner. Und das im Durchschnitt“, gab Salvador Illa am Mittwoch in Madrid zu bedenken.
Deshalb einigte er sich bereits vergangene Woche mit den 17 für die Gesundheitspolitik verantwortlichen spanischen Regionalregierungen auf ein ganz neues Handlungsprotokoll. Gebiete mit 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, zehn Prozent positiver Corona-Tests und Intensivstationen, die zu 35 Prozent mit COVID-Patienten belegt sind, müssen isoliert werden.
In elf Regionen herrscht fast Lockdown
Gleich elf Regionen und Städte mussten seitdem abgeriegelt werden und strikte Schutzmaßnahmen einführen, die teils an Lockdown-Zeiten vom Frühling erinnern. In keinem europäischen Land ist die Lage so dramatisch wie in Spanien. 10.696 COVID-19-Patienten liegen in Krankenhäusern, 1544 davon auf Intensivstationen.
Besonders schlimm ist die Situation im 6,7 Millionen-Ballungsraum Madrid, wo derzeit 710 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gezählt werden. Im nordspanischen Navarra sind es 673, in Kastilien-La Mancha 376. In vielen Regionen Spaniens ist die Pandemie fast außer Kontrolle.
„Die große Lektion, die wir aus der aktuellen Gesundheitskrise lernen, ist die Notwendigkeit, dass spanische Gesundheitssystem zu stärken und auszubauen“, erklärte Salvador Illa. Sein Ministerium plane eine Gesundheitsreform, die außer einer besseren Koordination zwischen den politischen Akteuren vor allem auch mehr Ärzte und Krankenpfleger mit besseren Gehältern und Arbeitsbedingungen vorsieht.
Zudem sollen Krankenhäuser und Gesundheitszentren technisch modernisiert und mit effektiveren und einheitlichen Handlungsprotokollen mit Blick auf Pandemien ausgestattet werden, so der Gesundheitsminister.
In Gesundheitszentren fehlt es an allem
„Das ist auch dringend notwendig. Vor allem in den Gesundheitszentren fehlt es an allem – Ausstattung, Personal, Protokollen und Kontakt-Tracern, die Infektionsketten nachverfolgen können“, sagt Angela Hernández, stellvertretene Vorsitzende des Madrider Ärzteverbandes Amyts.
In Spanien übernehmen die staatlichen Gesundheitszentren die Aufgabe von Hausärzten in Deutschland und sind für die medizinische Grundversorgung in den Bezirken und Gemeinden zuständig.
„Es war die erste Verteidigungslinie im Kampf gegen das Corona-Virus und hat leider aufgrund jahrelanger Sparmaßnahmen nicht standgehalten“, erklärt Hernández. So füllen sich auch jetzt wieder die Krankenhäuser und deren Intensivstationen mit COVID-19-Patienten.
In vielen Madrider Großkrankenhäusern wie dem Hospital Gregorio Marañón, der Uni-Klinik San Carlos oder La Paz werden bereits geplante Operationen ausgesetzt, um Personal und Intensivbetten für schwere COVID-Patienten freizuhalten.
Unterdurchschnittlich wenig Pflegekräfte
Die Sparmaßnahmen und Arbeitsbedingungen haben vor allem zu Engpässen im Pflegebereich geführt. „In Spanien kommen lediglich zwischen fünf und sechs Krankenpfleger auf 1000 Einwohner. Der EU-Durchschnitt liegt bei acht bis neun“, meint José Luis Cobos, Vize-Generalsekretär beim spanischen Krankenpfleger-Verband.
Auch die von Gesundheitsminister Illa angekündigte bessere Koordination der politischen Akteure wird ein wichtiges Ziel einer Gesundheitsreform sein. Der parteipolitische Streit lähmt in Spanien eine effektive Pandemie-Bekämpfung. Jüngstes Beispiel ist die Zwangsisolation Madrids.
Der sozialistischen Zentralregierung gingen die Corona-Schutzmaßnahmen der konservativen Madrider Regionalregierung nicht weit genug und sie beschloss die Abriegelung der Millionen-Metropole und ihrer Vorstädte. Am Donnerstag lehnte der Oberste Madrider Gerichtshof nach einer Klage der Regionalregierung die Maßnahmen der Zentralregierung jedoch ab.