Coronavirus-Pandemie

„Spaniens Sparpolitik rächt sich“

Nach den USA ist Spanien das am schlimmsten von der Coronavirus-Pandemie betroffene Land der Welt. Und das hat mehrere Gründe, analysiert ein Allgemeinmediziner aus Madrid.

Von Manuel Meyer Veröffentlicht:
Javier Padilla ist Arzt und Buchautor. Er geht mit der spanischen Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre hart ins Gericht.

Javier Padilla ist Arzt und Buchautor. Er geht mit der spanischen Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre hart ins Gericht.

© Manuel Meyer

Madrid. Javier Padilla hofft, schon bald wieder arbeiten zu können. Seit zwei Wochen befindet sich der spanische Arzt zu Hause in Quarantäne, nachdem er sich in seinem Gesundheitszentrum Fuencarral im Norden Madrids mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 angesteckt hatte.

„Mein Krankheitsverlauf war ertragbar. Sollte ich in den kommenden Tagen endlich negativ getestet werden, will ich schnell wieder ins Gesundheitszentrum, um zu helfen“, sagt der 37-jährige Allgemeinmediziner. Er weiß, wie dringend jeder Arzt und jeder Krankenpfleger derzeit gebraucht wird.

50.000 Infizierte allein in Madrid

Nach den USA ist Spanien mit über 170.000 Infizierten und über 18.000 Toten das am schlimmsten von der Pandemie betroffene Land der Welt. Besonders dramatisch ist die Situation in der Hauptstadt Madrid, wo kurz vor Ostern fast 50.000 Infizierte und 5800 Todesfälle registriert wurden. Zahlen, die jedes Gesundheitssystem vor ein Problem stellen.

Doch in Spanien kommen zwei Probleme hinzu, sagt Padilla: „Erstens haben sich gerade zu Beginn der Pandemie viele Ärzte wie ich durch fehlende Schutzprotokolle und Schutzkleidung selber infiziert und stehen wochenlang nicht zur Verfügung.“ Wie das Gesundheitsministerium bestätigte, haben sich tatsächlich bereits 20.000 Ärzte und Pflegekräfte mit dem neuen Coronavirus infiziert und fallen zeitweise für den Einsatz gegen die Epidemie aus.

„Doch zweitens trifft das Virus in Spanien auf ein marode gewordenes öffentliches Gesundheitssystem“, so Allgemeinmediziner Padilla. Er ist nicht nur Arzt, sondern beschäftigt sich auch mit dem Gesundheitswesen. Sein letztes Buch „Wen lassen wir als Nächstes sterben?“ geht hart mit der Sparpolitik im öffentlichen Gesundheitssystem ins Gericht.

Fatale Folgen für das öffentliche Gesundheitssystem

Im Zuge der schweren Wirtschaftskrise 2010 verpflichtete sich Madrid für die EU-Hilfen gegenüber Brüssel und Berlin zu einer strikten Spar- und Austeritätspolitik. „Mit fatalen Folgen für das öffentliche Gesundheitssystem“, sagt Padilla.

Um Personal zu sparen, wurden damals vor allem frei gewordene Stellen im Gesundheitswesen nicht neu besetzt. Allein in Madrid seien in sieben Jahren 3000 Stellen weggefallen, sagt Padilla.

„Das spanische Gesundheitssystem wurde in den vergangenen zehn Jahren kaputtgespart und das bekommen wir nun in der Corona-Krise zu spüren“, meint auch der spanische Gesundheitsexperte Alberto Gimenez.

Vergleichsweise wenige Intensivbetten

Gravierend ist im Zuge der Corona-Pandemie vor allem die geringe Zahl von Betten auf den Intensivstationen. Spanien verfügt mit seinen 47 Millionen Einwohner gerade einmal über 4700 Intensivstationsplätze, auch wenn deren Zahl in den vergangenen Wochen durch provisorische Krankenhäuser erhöht wurde.

Zum Vergleich: In Deutschland gab es mit seinen über 80 Millionen Einwohnern zu Beginn der Krise rund 28.000 Intensivbetten. Mittlerweile wurden auch diese Kapazitäten aufgestockt.

Nach offiziellen Angaben hat Spanien in den vergangenen zehn Jahren rund elf Prozent seiner Krankenhausbetten verloren. Zählte das Europäische Statistikamt Eurostat in Spanien 2008 noch 320 Betten pro 100.000 Einwohner, waren es 2017 nur noch 297.

Nach den jüngsten Angaben von Eurostat gab Spanien 2017 nur 2371 Euro pro Kopf für die Gesundheitsversorgung aus – 15 Prozent weniger als der EU-Durchschnitt.

Gesundheitssektor wurde zunehmend privatisiert

Zwar wurde der Einstellungsstopp im Gesundheitswesen seit 2017 sukzessiv zurückgenommen, aber aufgrund geringer Gehälter gehe der Exodus beim Personal weiter, meint Experte Alberto Gimenez. Vor allem ziehe es Krankenschwestern weiterhin verstärkt ins Ausland, so Gimenez. „Das rächt sich nun in einem Moment, in dem wir dringend Personal im Kampf gegen die Pandemie brauchen.“

Ein weiteres Problem: Im Zuge der staatlichen Sparpolitik wurde der Gesundheitssektor zunehmend privatisiert. Dabei suchen die privaten Kliniken aus unternehmerischen Gründen natürlich finanzielle Rentabilität, was teilweise zu personellen Unterbesetzungen führte, meint Gimenez.

Allgemeinmediziner Javier Padilla hofft unterdessen, dass die Regierung ihre Lehren aus der aktuellen Notsituation zieht und in Zukunft das öffentliche Gesundheitssystem wieder ausbaut. „Denn die nächste Pandemie wird kommen“, ist sich Padilla sicher.

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