„Sternstunde des Verfassungsrechts“
Sterbehilfe-Vereine begrüßen BVerfG-Urteil
Als „Sternstunde“ feiern Sterbehilfe-Vereine das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Ärzteschaft rufen sie auf, rasch ihr Berufsrecht zu liberalisieren.
Veröffentlicht:Berlin. Sterbehilfe-Vereine haben das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als „Sternstunde des Verfassungsrechts“ gewertet. „Das Urteil ist in seinen zentralen Aussagen von historischer Tragweite und wird über die Grenzen Deutschlands hinaus Wirkkraft entfalten“, sagte der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Professor Robert Roßbruch, am Montag vor Journalisten in Berlin.
Die DGHS hatte gemeinsam mit Ärzten, professionellen Sterbehelfern und anderen Sterbevereinen gegen den Paragrafen 217 geklagt. Das Bundesverfassungsgericht hatte das darin geregelte Verbot der Suizidbeihilfe vergangene Woche für nichtig erklärt.
„Freiheit hat gesiegt“
Der Gründer und Generalsekretär von Dignitas-Schweiz, Ludwig A. Minelli, sprach von „Freude“ darüber, dass „die Freiheit gesiegt hat“. Der Entwurf zum Paragrafen 217 sei als ein „Werk des streng katholischen Malteserordens“ entstanden.
Das Beispiel Schweiz zeige, dass all die Gefahren, die der Beihilfe zum Suizid zugeschrieben würden, „sich nicht verwirklichen“. Es bestehe somit Anlass dazu, „vorerst für eine bestimmte Zeit auf eine gesetzliche Regelung zu verzichten und an deren Stelle die Forschung zu verstärken“.
Suizidwille „wohlüberlegt und freiverantwortlich“
Die Karlsruher Richter hätten klargestellt, dass Staat und Gesellschaft dem Einzelnen, wenn er sein Leben „wohlüberlegt und freiverantwortlich“ beenden wolle, keine Vorgaben machen dürfe, „wann, wie und unter welchen Voraussetzungen er dies zu tun hat“, betonte DGHS-Vize Roßbruch.
Das Urteil habe zudem konkrete Auswirkungen auf die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellten Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zwecks Selbsttötung. Die Ablehnung entsprechender Anträge hatte zuletzt auch politisch für Wirbel gesorgt.
Roßbruch rief die Ärzteschaft auf, ihr restriktives Berufsrecht zur Suizidassistenz zu überarbeiten. Paragraf 16 Satz 3 der (Muster-)Berufsordnung, der es Ärzten untersagt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, sei ersatzlos zu streichen. Ärzte müssten auch hierzulande Suizidhilfe leisten dürfen, „wenn sie es wollen, ohne befürchten zu müssen, dass ihnen standesrechtliche Sanktionen drohen“.
„Bereitschaft signalisiert“
Bereits unmittelbar nach Verkündung des Karlsruher Urteils hätten sich Ärzte bei der DGHS gemeldet und ihre Bereitschaft signalisiert, ärztliche Assistenz bei einem „wohl überlegten und freiverantwortlichen Suizid leisten zu wollen“. Auf die Nachfrage, wie viele Ärzte sich gemeldet hätten, erklärte Roßbruch, genau quantifizieren lasse sich das aktuell nicht.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hatte klargestellt, dass die Beihilfe zum Suizid „unverändert grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärzten“ gehöre. Er fügte aber auch hinzu: „Soweit das Gericht auf die Konsistenz des ärztlichen Berufsrechts abhebt, wird eine innerärztliche Debatte zur Anpassung des ärztlichen Berufsrechts erforderlich sein.“
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, hatte betont, Ärzte wollten grundsätzlich Leben retten. Gleichwohl sei es aber auch nicht ärztliche Aufgabe, Leben um jeden Preis zu verlängern, sagte Gassen der „Rheinischen Post“.
DIVI: Keine Kommerzialisierung der Sterbehilfe!
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Professor Uwe Janssens, nannte die Gesetzgebung zur Sterbehilfe in Deutschland lückenhaft. „Die DIVI fordert daher eine umgehende Erarbeitung von Konzepten, wie Suizidhilfe in Deutschland zukünftig verantwortungsvoll geregelt und praktiziert werden soll.“ Nötig seien dabei auch klare Regelungen gegen eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe, so Janssens.