BGH

Sterbewunsch muss neu geprüft werden

Bundesgerichtshof stärkt Selbstbestimmung auch ohne Patientenverfügung.

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KARLSRUHE. Auch nicht tödlich Kranke haben das Recht, dass medizinische Behandlungen nach den eigenen Vorstellungen und dem eigenen Willen gegebenenfalls abgebrochen werden. Dies sei auch ohne Patientenverfügung möglich, wie jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied.

Damit können Ehemann und Tochter einer heute 51-jährigen Frau aus Sachsen wohl doch noch den Abbruch ihrer Behandlung durchsetzen. Die Frau erlitt im September 2009 eine Gehirnblutung und liegt seitdem im Wachkoma.

Sie wird mit einer Magensonde ernährt, eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich. Ehemann und die Tochter der Frau wurden zu ihren Betreuern bestellt. Eine Patientenverfügung gab es nicht.

Daher beantragten die Betreuer im Juli 2010, lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen und gegebenenfalls auch die künstliche Ernährung abbrechen zu dürfen. Das Landgericht Chemnitz meinte, der Wille der Patientin stehe hierfür nicht eindeutig genug fest.

Da ihr Tod krankheitsbedingt nicht unmittelbar bevorstehe, seien besonders hohe Anforderungen an die Absicherung dieses Willens zu stellen.

Dem hat der BGH nun deutlich widersprochen. "Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem ‚irreversibel tödlichen Verlauf‘ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen", betonten die Karlsruher Richter.

Stadium der Erkrankung nicht relevant

"Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen kommt es nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung an." Wie der BGH weiter ausführt, gibt das Gesetz ein dreistufiges Verfahren für die Klärung des Patientenwillens vor.

Höchsten Stellenwert habe eine Patientenverfügung. Eine gerichtliche Genehmigung sei nicht erforderlich, wenn sich Arzt und Betreuer über deren Auslegung einig sind. Dabei müsse sich auch eine Patientenverfügung konkret zu bestimmten Lebenssituationen äußern.

Allerdings dürften die Anforderungen auch nicht überspannt und faktisch vorausgesetzt werden, "dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt".

Liegt keine Patientenverfügung vor oder beschreibt diese nicht die tatsächliche Lebenssituation des Patienten, ist nach eventuellen "Behandlungswünschen" zu entscheiden. Diese können aus Äußerungen hervorgehen, die der Patient früher zu vergleichbaren Situationen wie der eigenen gemacht hat.

Auf den "mutmaßlichen Willen" sei als Drittes nur abzustellen, wenn sich auch ein solcher "erklärter Wille nicht feststellen lässt". Der "mutmaßliche Wille" kann sich aus allgemeinen früheren Äußerungen ergeben.

Auch dabei sei aber "nicht danach zu differenzieren, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht", entschied der BGH. Im konkreten Fall soll das Landgericht nochmals prüfen, ob sich ein ausreichend gesicherter "mutmaßlicher Wille" feststellen lässt, oder ob die Patientin vielleicht sogar konkrete "Behandlungswünsche" geäußert hat.

Nach Aussage einer Zeugin soll sie anlässlich des Wachkomas der Nichte einer Freundin gesagt haben, dass sie selbst im Wachkoma nicht künstlich am Leben erhalten werden wolle. (mwo)

Beschluss des BGH, Az.: XII ZB 202/13

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