Bemessung des Pflegepersonals
TK-Chef Baas: Einführung von PPR 2.0 ist „fachlicher Unsinn“
Die Krankenhäuser bekämen auch heute schon jede Pflegekraft bezahlt, sagt Baas. Kassenverbände plädieren für Alternativmodell der Personalbemessung. Lauterbach fordert Umdenken der Klinikbranche.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Die übergangsweise Einführung der Pflegepersonalregelung PPR 2.0 stößt auf Kritik in Kassenkreisen, aber auch im Umfeld der Krankenhäuser selbst. Dabei handele es sich um „fachlichen Unsinn“, sagte der Vorstandsvorsitzende der TK, Jens Baas, der Ärzte Zeitung. Was geplant sei, sei „völlig unnötiger Aktionismus“.
Er frage sich, was das Ziel dieses Aufwandes sei. Die Regelung soll mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz eingeführt werden, das am Mittwoch im Kabinett beschlossen worden ist und zur parlamentarischen Beratung an den Bundestag weitergeleitet wurde. „Wir brauchen ein Umdenken in der Klinikbranche“, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Anschluss an die Kabinettssitzung. Pflegekräfte seien extrem belastet. Nur wer sie gut bezahle, Überstunden ausgleiche, ihre Stationen besetze, werde am Arbeitsmarkt Pflegekräfte halten oder neue gewinnen, argumentierte der Minister.
Entlastung Pflegekräfte
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Personalbesetzung per Rechtsverordnung
Mit dem Gesetz soll der für eine bedarfsgerechte Pflege am Bett erforderliche Personaleinsatz auf bettenführenden Stationen der Somatik durch ein wissenschaftliches Instrument zur Personalbemessung ab 2025 sichergestellt werden. Dies hatten die Ampel-Parteien bereits im Koalitionsvertrag festgehalten. Bis dahin soll der Gesundheitsminister übergangsweise Vorgaben zur Ermittlung des Personalbedarfs und zur Personalbesetzung per Rechtsverordnung erlassen dürfen.
Das Instrument PPR 2.0 haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Deutsche Pflegerat entwickelt. Es soll den Pflegebedarf auf den Stationen für die Tagschichten minutengenau und nach erforderlichen Qualifikationen messen. Die Sollwerte werden dann mit der Ist-Situation abgeglichen, um möglichen zusätzlichen Personalbedarf zu identifizieren.
Baas: Pflegequalität wird nicht gemessen
„Welches Problem lösen wir damit?“, fragt der Chef der mit rund elf Millionen Versicherten größten Krankenkasse in Deutschland. „PPR 2.0 ist ein System, mit dem man nur eine Sollgrößenbestimmung machen kann, wie viele Pflegekräfte man braucht. Und das auch nur am Tag, und nur mit bestimmten Qualifikationen.“
Es werde nicht gemessen, ob die geleistete Pflege oder die Arbeitsbedingungen gut seien oder nicht, sondern einfach nur, wie viele Pflegekräfte man während der Tagesstunden braucht, betont Baas.
Krankenhäuser bekommen jede Pflegekraft bezahlt
„Dabei bekommen die Krankenhäuser auch schon jetzt jede Pflegekraft bezahlt“, verweist Baas auf bereits seit 2018 geltende Regelungen aus dem Pflegepersonalstärkungsgesetz der Großen Koalition. Das Krankenhaus müsse den Kassen nicht mehr nachweisen, ob sie fünf oder mehr Leute brauchen. „Wenn sie sechs einstellen, bezahlen wir das“, sagte Baas.
Nach derzeit geltenden Tarifen würde ein Mehrbedarf von 5000 Pflegekräften – immer vorausgesetzt, diese wären am Arbeitsmarkt verfügbar – die Kostenträger mit rund 325 Millionen Euro belasten, die Gesetzlichen Krankenkassen müssten davon 292,5 Millionen tragen. Dies geht aus dem Gesetzentwurf der Ampel hervor.
Fatale Signale an das Pflegepersonal
Vor einer „Pflege nach Kassenlage“ warnte am Mittwoch auch die Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Bernadette Rümmelin. Sie bezog sich darauf, dass das Gesundheitsministerium Vorgaben zur Ermittlung des Personalbedarfs und zur Festlegung der Personalbesetzung in Krankenhäusern nur „im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen“ vornehmen dürfen solle. Das sei ein „fatales Zeichen für das Pflegepersonal, aber auch für die Patientinnen und Patienten“ sowie „ein Angriff auf unser Solidarsystem“. Mit dieser Einschränkung würde das Konzept der PPR 2.0 nur noch „bruchstückhaft“ umgesetzt, so Rümmelin.
Kassenverbände werben für Alternativmodell
In die gleiche Kerbe hieb der GKV-Spitzenverband. Dass der Finanzminister über den Pflegepersonalbedarf mitentscheiden solle, berge die Gefahr, dass zukünftig bei einer angespannten Haushaltslage beim Personal der Rotstift angesetzt werde. Verbands-Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis warb am Mittwoch für dass bereits im SGB V verankerte Verfahren „Personalbemessung im Krankenhaus“ (PePiK). „Wir wollen, dass in den Krankenhäusern eine moderne, digitale Pflegepersonalbemessung eingeführt wird“, sagte Stoff-Ahnis. Mit handgeschriebenen Listen müsse Schluss sein. PPR 2.0 führe daher in eine Sackgasse.
Vor einem „enormen Maß an zusätzlicher Bürokratie“ warnte der Geschäftsführer der Vertretung der Innungskrankenkassen (IKK e.V.) Jürgen Hohnl. Zudem würden die Intensivmedizin, die Pädiatrie, Notaufnahme und Nachtdienst bei PPR 2.0 nicht berücksichtigt. (af)