Vollmundige Johnson-Ankündigung
Turbo-Impfen in Großbritannien? Hausärzte sind schon am Limit
Premier Johnson verspricht in Großbritannien vollmundig eine Million Booster-Impfungen täglich. Viele Hausarztpraxen sind bereits überlastet und fahren die Routine-Versorgung herunter.
Veröffentlicht:
Menschen stehen am Montag Schlange vor dem St. Thomas Hospital in London, um eine Auffrischimpfung zu erhalten.
© Matt Dunham / dpa
London. In immer mehr britischen Hausarztpraxen herrscht angesichts steigender COVID-Neuinfektionen und einem historisch beispiellos ambitionierten neuen Impfprogramm der Londoner Regierung inzwischen „Land unter“. Hausärzte berichten, sie könnten oftmals dem Patientenansturm nicht mehr Herr werden. Immer mehr Primärarztpraxen reduzieren inzwischen das Serviceangebot.
Am Wochenende hatte Premierminister Boris Johnson in einer Fernsehansprache an die Nation angekündigt, bis zum Jahresende „täglich eine Million Booster-Impfungen“ über den staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) ausgeben zu wollen.
Das ist die mit Abstand größte und ambitionierteste Massenimpfung in der 73-jährigen Geschichte des NHS. Die Sieben-Tage-Inzidenz belief sich am Dienstag in Großbritannien auf 528 (Deutschland: 375). Die Zahl der Corona-Neuinfektionen betrug zuletzt rund 54.000).
21 Millionen sind geboostert
Derzeit haben rund 21 Millionen Briten ihre Booster-Impfung bekommen. Doch im Dezember erhielten bislang nie mehr als 500.000 Patienten pro Tag eine Auffrischungsimpfung. Meist waren es sogar deutlich weniger Impflinge pro Tag. Daher auch die Sorge der Ärzteschaft: Einige Ärzte bezeichneten das von Johnson gesteckte Ziel als „unrealistisch“.
Eine Blitzumfrage der „Ärzte Zeitung“ in britischen Hausarztpraxen und Kliniken ergab, dass Primär- und Fachärzte immer öfter bestimmte Routine-Untersuchungen und andere Leistungen nicht mehr anbieten, weil dafür die Kapazitäten fehlen. „Die Massenimpfungen der vergangenen Monate und jetzt das neue Booster-Programm lassen uns keine Zeit, noch viel anderes zu tun“, so eine Londoner Hausärztin. Ihre Praxis ist inzwischen sechs Tage pro Woche geöffnet.
Lange Schlangen vor Impfzentren
Vor den Impfzentren in London bildeten sich auch am Wochenbeginn wieder lange Schlangen. Vor dem St. Thomas Hospital in Lambeth standen zur Mittagszeit mehr als 200 Patienten in der Warteschlange. Die Wartezeit betrug knapp zwei Stunden. Das war laut Medienberichten kein Einzelfall. „Wir freuen uns, dass unser Impfangebot so enthusiastisch angenommen wird“, so ein Kliniksprecher. „Wir haben zusätzliches Personal eingestellt und trotzdem reicht es hinten und vorne nicht.“
Laut Londoner Gesundheitsministerium soll auch über die Weihnachtsfeiertage weiter geimpft werden. Heiligabend und am 2. Weihnachtstag sollen Hunderte Impfzentren täglich zwölf Stunden oder länger geöffnet sein. Nur am 1. Weihnachtstag soll pausiert werden. (ast)