Reportage
Über 100 Corona-Impfungen am Tag – unterwegs mit „Team Lübeck eins“
Mal eben die Bewohner im Heim gegen das Corona-Virus impfen? Die Arbeit der mobilen Impfteams ist aufwendig. Die „Ärzte Zeitung“ hat das „Team Lübeck eins“ an einem langen Arbeitstag begleitet.
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„Team Lübeck eins“ ist startklar: Krankenschwester Stephanie Lewe, Ärztin Anna-Sophie Liegmann und die zahnmedizinische Fachangestellte Katja Puck (von links) vor dem Impfmobil, mit dem sie in die Pflegeeinrichtungen starten.
© Dirk Schnack
Lübeck. Gegen Viertel vor zehn am Samstagvormittag ist es geschafft: Der erste Bewohner im Lübecker Pflegezentrum Nazareth hat sich impfen lassen. Katja Puck, eine zahnmedizinische Fachangestellte aus dem „Team Lübeck eins“, wie sich ihr mobiles Impfteam nennt, hat die Spritze gesetzt. Es ist der Start in einen weiteren langen Impftag, nach einer langen Woche für das Team.
Was nach Arbeitsbeginn klingt, ist nur der erste Vollzug nach stundenlanger Vorbereitung, die jedem Einsatz der mobilen Impfteams in ganz Deutschland vorausgeht. Bevor die erste Spritze in einer Pflegeeinrichtung aufgezogen werden kann, sind bundesweit zahlreiche Helfer vieler Berufsgruppen im Einsatz, um das Impfen zu ermöglichen.
Morgens um 3.30 Uhr geht es los
Zum Beispiel die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes (THW). Sie steigen nachts um 3.30 Uhr in Flensburg in ihren Kleintransporter und starten in eine lange Autofahrt durch ganz Schleswig-Holstein. Zunächst geht es zum zentralen Logistikzentrum des Landes, um die Impfdosen zu übernehmen.
Erst dort erfahren sie, wohin sie heute die raren Impfdosen transportieren müssen. Ziel ist das Impfzentrum in der Lübecker Musik- und Kongresshalle (MuK). Dort treffen sie gegen 7.30 Uhr ein. In ihren Kühlboxen haben sie die heute benötigten Impfdosen für das Zentrum und für zwei mobile Impfteams, die von hier aus in zwei Lübecker Pflegeeinrichtungen fahren.
Bildergalerie: Unterwegs mit „Team Lübeck eins“
Wie sieht der Einsatztag von „Team Lübeck eins“ aus? Einblicke in ein mobiles Corona-Impfteam.
Kurz nach den THW-Helfern kommen die beiden Teams. „Wir sind die Impfperlen“, sagen Puck und Krankenschwester Stephanie Lewe aus dem „Team Lübeck eins“ gut gelaunt. Zu ihnen gehört Ärztin Anna-Sophie Liegmann. Während die Ärztin eintrifft, suchen ihre beiden Mitarbeiterinnen im provisorischen Lagerraum der MuK alles Material zusammen, das an diesem Tag benötigt werden könnte: Ein Notfallkoffer, Spritzen, FFP2-Masken, Verbandmaterial und vieles mehr wird im Kleinbus verstaut. Unterdessen inspiziert Liegmann die Impfdosen und prüft das Temperaturprotokoll, das die lückenlose Kühlkette dokumentiert.
Von minus 75 Grad im Logistikzentrum ist die Temperatur langsam hochgeklettert. Bei der Übergabe an Liegmann liegt sie bei rund null Grad und wird bis zum Impfen mit Verdünnung auf Raumtemperatur steigen. Während auch das zweite Team sein Material zusammensucht, rechnet Liegmann noch einmal nach: Sie bekommt 21 Behälter, aus denen jeweils sechs Impfdosen aufgezogen werden. Das würde für 126 Menschen reichen, denen ihr Team heute zu einer Impfung verhelfen könnte.
147 Bewohner geimpft
Am Vortag hat „Team Lübeck eins“ bis in den Abend hinein insgesamt 147 Menschen – Bewohner und Mitarbeiter – in einer Lübecker Einrichtung geimpft. Dass es heute ins Pflegezentrum Nazareth geht, wissen sie erst seit Feierabend des Donnerstags.
Gegen 8.45 Uhr treffen sie in der Einrichtung ein. Ihnen wird kein selbstverständlicher Empfang bereitet: Reservierter Parkplatz direkt vor dem Eingang, Hilfe beim Hereintragen, Getränke und Imbiss im Büro von Geschäftsführer Jorg Robbers und jede Unterstützung von Pflegedienstleiterin Rebecca Meiske. Auch die Schnelltests für das Impfteam liegen schon bereit.
Während das Trio sich selbst abstreicht, ist Robbers erleichtert über deren Anwesenheit. „Das ist für uns sehr wichtig, ein Corona-Ausbruch in der Demenzstation wäre eine Katastrophe“, sagt der Geschäftsführer.
Die 15-minütige Wartezeit auf die Test-Ergebnisse nutzen Puck und Lewe zu einem kurzen Frühstück. Meiske hofft, dass sich neben den Bewohnern heute auch viele Mitarbeiter impfen lassen können. Die vergangenen Wochen waren extrem belastend für die ganze Mannschaft. In einem der vier Häuser des Zentrums war das Virus festgestellt worden. „Das Arbeiten unter Schutzkleidung und der Ausgleich der wegen Quarantäne fehlenden Mitarbeiter ist eine zusätzliche Belastung für alle gewesen“, berichtet sie.
Nach den Corona-negativen Ergebnissen der Schnelltests geht es in einen großen Aufenthaltsraum mit angeschlossenem Zimmer: Hier richtet sich das Impfteam seine Arbeitsplätze ein. Liegmann und Meiske gehen die Einverständniserklärungen der Betreuer für die Bewohner der Demenzstation durch. Nebenan ziehen Lewe und Puck die ersten Spritzen auf.
Die Ärztin fragt gezielt nach, wenn ein Kreuz auf einem Formular fehlt, greift zum Telefon, wenn sie eine Auskunft von Betreuern oder Angehörigen benötigt. Vor der Tür warten schon die ersten Bewohner, um in den Aufenthaltsraum zu kommen. Jeweils zu fünft kommen sie zur Ärztin, die sich vorstellt: „Guten Morgen, mein Name ist Anna-Sophie Liegmann und ich trage eine Maske, um mich gegen Corona zu schützen“, beginnt sie ihre Aufklärung. Die Bewohner, die in Kohorten zusammenleben, müssen die Maske nicht tragen. Liegmann erklärt sorgfältig, worum es sich bei dem Virus handelt, wie man sich schützen kann, was die Impfung bewirken kann und versichert: „Ich selbst bin auch geimpft. Die Impfung ist ein Angebot an Sie, um Sie zu schützen.“ Jedem Bewohner wird angeboten, im Vier-Augen-Gespräch nachzufragen.
Wer nicht möchte, wird nicht geimpft
Die Reaktionen sind unterschiedlich. „Ich bin nicht einverstanden“, sagt ein älterer Mann mehrfach und schüttelt energisch den Kopf. Er bleibt auch auf Nachfragen und nach weiteren Erläuterungen bei seiner Haltung. Obwohl der Betreuer zugestimmt hat, wird der Bewohner nicht geimpft. „Wer nicht möchte, wird nicht geimpft – auch wenn der Betreuer seine Einwilligung gegeben hat“, sagt Liegmann. Ein anderer Mann aus der ersten Gruppe ist extrem interessiert. „Mit welchem Impfstoff impfen Sie? Ab wann profitiert man von der Impfung“, will er wissen. Er entscheidet sich als erster an diesem Tag: „Ich bin einverstanden.“ So intensiv wie er fragen längst nicht alle.
Eine ältere Dame hört sich zunächst still und interessiert alles an und bricht plötzlich in Tränen aus: „Ich habe Angst“, sagt sie. Die Impfung möchte sie trotzdem. Stephanie Lewe und Katja Puck wissen mit solchen Situationen umzugehen. Beruhigend sprechen sie mit den Bewohnern. Hilfreich ist für sie, dass ständig Pflegekräfte und damit für die Bewohner bekannte Gesichter dabei sind.
„Halten Sie mein Händchen?“
Mit kleinen Scherzen lockert das Team die Stimmung auf. „Na, Sie haben aber Muckies“, hört ein älterer Herr in Anerkennung seines frei gemachten Oberarms. Der revanchiert sich: „Halten Sie mein Händchen?“
Bei aller Lockerheit bleibt Liegmann professionell und sorgfältig. Eine dokumentierte Penicillinallergie erfordert Nachfragen bei einer Tochter, ein unentschiedener Bewohner braucht eine wiederholte Aufklärung und die Frage nach Nebenwirkungen wird auch beim dritten Mal gewissenhaft beantwortet. Nach den Bewohnern bekommen Mitarbeiter die Chance auf eine Impfung, auch wenn nicht für alle Impfstoff vorhanden ist. Betreuungsassistentin Sylvia Lehmann nutzt die Chance und fragt, ob sie sich als Asthma-Patientin impfen lassen sollte. Sie gehört zu denen, die an dem Tag geimpft werden können.
Das Impfteam ist am Nachmittag mit dem ersten Haus des Pflegezentrums fertig und kann noch in eine zweite Einrichtung fahren. Dort zeigt ein Bewohner mit Down-Syndrom nach der Impfung eine Reaktion. Seine rechte Wange ist gerötet – ein „flush“, zudem Hitze im Nacken. Die Betreuer holen Liegmann, die sich die nächsten 20 Minuten nur diesem Patienten widmet. Sie beruhigt ihn und erklärt, dass das in seltenen Fällen vorkommen kann. Rötung und Hitze lassen schnell nach. Die Aufregung beim Bewohner auch, als er einen Kakao genießen kann.
Zur Sicherheit bleibt eine Pflegekraft eine ganze Stunde bei ihm. Es bleibt die einzige Aufregung an diesem langen Samstag. Als am Abend alle 126 Impfdosen verabreicht sind, geht Liegmann noch einmal zu dem Bewohner mit der jetzt nicht mehr roten Wange: Alles ist in Ordnung – „Team Lübeck eins“ kann seinen Bus beladen und zurück ins Impfzentrum fahren. Um 19.30 Uhr, nach einem Zwölf-Stunden-Tag, ist Feierabend für das Trio.
Alle 19 Impfmobile in Schleswig-Holstein sind auch am nächsten Tag, einem Sonntag, wieder im Einsatz. Bis Mitte Februar wollen sie möglichst alle Pflegeheimbewohner mindestens einmal geimpft haben.