Druck auf Klinikärzte

"Viele sind ausgebrannt"

Der ökonomische Druck in Kliniken wächst. Der Bremer Arzt und Medizinethiker, Professor Karl-Heinz Wehkamp, hat Klinikärzte nach ihren Erfahrungen gefragt - die Antworten sind teils verheerend, wie er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" schildert.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Professor Wehkamp, Sie sagen, der Geldmangel in den Kliniken führe am Schluss dazu, dass medizinethische Prinzipien verletzt werden. Was meinen Sie damit?

Professor Dr. Karl-Heinz Wehkamp

'Viele sind ausgebrannt'

© privat

Position: Arzt und Medizinethiker am Zentrum für Sozialpolitik Uni Bremen

Ausbildung: Studium Soziologie und Philosophie sowie der Humanmedizin; Facharzt für Gynäkologie

Karriere: Gründung des Zentrums für Gesundheitsethik an der Akademie Loccum; Professur in Hamburg

Prof. Karl-Heinz Wehkamp: Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Professor Heinz Naegler Ärzte und Geschäftsführer in verschiedenen Kliniken sehr ausführlich interviewt.

Fast alle Ärzte erleben den ökonomischen Druck als eine Bedrohung ihrer ethischen Grundsätze. Fast alle Befragten sprachen von Bedrohung, einige von Verletzung, einige sogar von Abscheu über die Art und Weise, wie sie arbeiten müssen.

Wie erleben die Ärzte den ökonomischen Druck in ihrem Alltag?

Wehkamp: Es gibt zum Teil Aufforderungen oder gar Nötigungen der Geschäftsleitungen, gewisse Indikationen großzügig auszulegen, etwa bei Herzkathetern.

Oder es heißt: "Wir haben noch so und so viele Endoprothesen hier liegen, die müssen bis zum Jahresende weg." Oder wegen der hohen Kosten für die notwendigen Geräte erhalten Tumorpatienten nicht die First-Line Versorgung, sondern die Zweit- und Dritttherapie.

Oder Assistenzärzte werden unter Druck gesetzt, dass sie "gefälligst ihre Patienten wegbekommen" müssen. Oder Patienten im Sterbeprozess werden noch verlegt und erhalten vorher noch eine PEG-Sonde. Denn sonst würde sie das Pflegeheim gar nicht mehr aufnehmen, es hat zu wenig Personal, um die Patienten zu füttern.

So bleibt die Patientenautonomie auf der Strecke. Oder die Leiter von Notfallambulanzen erhalten bestimmte Bonuszahlungen nicht, wenn sie die Notaufnahme bei Überlastung abmelden. Sie werden damit vor die Wahl zwischen Geld und Ethik gestellt. Das ist unethisch.

Von einem Geschäftsführer hieß es, er habe offen erklärt, er würde das medizinische und pflegerische Personal reduzieren, "bis die Leute quietschen, um dann eine Stelle mehr zu bewilligen, damit man sicher ist, an der Untergrenze des Personalbedarfs zu liegen".

Sind also die Geschäftsführungen der Ausgangspunkt der Probleme?

Wehkamp: Nach allem, was wir von den Ärzten hören, ja. Die Geschäftsführer selbst klagen auch über den Druck, glauben jedoch, dass ethisch alles korrekt läuft, obwohl sie zugeben, nicht genau zu wissen, was "unten" passiert.

Ärzte berichten, dass das Controlling Vorgaben macht, sich zum Beispiel einmischt in Entlassungszeitpunkte oder gar Behandlungsvorschläge. Die Strategien zur Erlösoptimierung spielen sich dann in einer Grauzone ab. Der Standardsatz, den wir oft hörten, lautet: "Wir machen nichts wirklich Kriminelles, aber ..."

Welche Folgen hat diese Situation für die Arbeit der Pflegenden und Ärzte?

Wehkamp: Das Lächeln ist verschwunden. Es gibt offenbar kaum mehr Spaß bei der Arbeit. Es herrscht enormer Druck. Viele sind ausgebrannt. Ich höre von vielen, die gerne Medizin studiert hätten, es aber nach allem, was sie gehört habe, lieber gelassen haben.

Wir erleben mehr Zynismen als früher, zum Teil Resignation. Manche Häuser haben enormen Durchlauf von Ärztinnen und Ärzten, vor allem in Großstädten. Ich sehe die Attraktivität und die moralische Integrität der Heilberufe und pflegerischen Berufe gefährdet.

Aber Krankenhäuser müssen wirtschaftlich arbeiten.

Wehkamp: So ist es. Es geht hier auch nicht darum, die Geschäftsleitungen zu verteufeln und die moralische Keule herauszuholen. Aber gesellschaftlich und unter den Professionen haben wir nicht geklärt, wie weit die ökonomischen Überlegungen gehen dürfen und welche Entscheidungen noch legitim sind.

Statt das auszuhandeln, stehen sich kaufmännische und medizinische Seite in den Häusern oft ablehnend gegenüber.

Geld ist also nicht alles?

Wehkamp: Geld ist viel, aber nicht alles, richtig. Wir haben Häuser gesehen, die ihre Defizite problemlos von ihren Kommunen ersetzt bekamen und trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - die größten Probleme aufwiesen. Andere mit wenig Geld hatten eine vergleichbar gute Versorgung und zufriedenere Ärzte.

Was machen die Guten besser?

Wehkamp: Sie stellen die medizinethischen Werte an die vorderste Stelle. Sie wissen, am Ende steht man mit wirklich guter Medizin besser da. Sie messen dem Personalmanagement und der Kommunikation im Haus große Bedeutung zu.

Ihre Führungskultur ist weniger zahlenlastig. Sie wissen, wie wichtig Wertschätzung ist. Denn das sagen viele Ärztinnen und Ärzte: "Wir fühlen uns nicht wahrgenommen."

Welche Rolle spielt die Politik?

Wehkamp: Eine Hauptrolle. Die derzeitigen Steuerungskonzepte orientieren sich zu einseitig an Public Health Konzepten. Die Politik sieht in Gesundheitsökonomen seit vielen Jahren die Experten für Gesundheit.

Dabei schließt genau deren Paradigma die Wahrnehmung der konkreten medizinischen und ethischen Folgen ökonomischer Steuerung aus.

In der Versorgungsforschung, auf deren Daten sich die Politik stützt, dominieren Statistik und Routinedaten. Qualitative Forschung auf der Mikroebene wird stark vernachlässigt. Hier würde man die wirklichen Probleme von Ärzten, Pflegenden und Geschäftsführern kennenlernen.

Außerdem sollten nicht nur die technischen Prozeduren im Krankenhaus belohnt werden, sondern besonders jene Medizin, die die Potenziale der Patienten, insbesondere der chronisch Kranken fördert: also die Medizin, die zuhört, sorgfältig untersucht, begleitet und berät.

Die Kommunikation mit Patienten und das Reflektieren der Therapieziele kommt nach Meinung der meisten Ärzte viel zu kurz.

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Kommentare
Heidemarie Heubach 03.07.201512:05 Uhr

Von langer Hand geplant ?

`Dank` Zeit-, Arbeits-, Leistungs- und Wettbewerbsdruck quasi vom Kindergarten sowie oft irreführender Informationsüberflutung ist offensichtlich die Masse der Bürger so ausgepowert, daß sie keine Kapazitäten mehr frei für wirklich Wichtiges, z.B. die Entscheidungen für politische Weichenstellungen. Wie anders kann es sein, daß es - trotz Buchveröffentlichung von Dr. Regina Breul! - immer noch keinen Aufschrei gab, nachdem 2010 in Usedom auf einer öffentlichen, pharmaziegesponserten Tagung vorgeschlagen wurde, man solle doch den Organmangel in Deutschland verknüpfen mit dem Pflegenotstand angesichts wachsender, oft dementer Alter in den Heimen, von denen doch noch viele gut funktionierende Organe (für das Programm "old-for-old") hätten..........
Schöne neue Welt des Raubtierkapitalismus - gefressen werden aber sicher nicht die 1% Superreichen. Alle anderen, auch die Ärzteschaft / sog. Mittelstand bilden sich ein, selbst verschont zu bleiben von dieser rasanten, menschenverachtenden Entwicklung.

Dr. Helmut Müller 01.07.201516:28 Uhr

Alles richtig und schön

aber leider interessiert die Politik dies ganz und gar nicht. Hier steht - wie so oft - Medizin-Ethik gegen Medizin-Ökonomie und letztere wird von Politik und kranken Kassen vergöttert. Und solange der breiten Masse der Bürger und Wähler diese Entwicklungen "wurscht" sind, werden immer wieder die Parteien gewählt, die unser ehemals hervorragendes Gesundheitswesen Schritt für Schritt zu Grabe tragen. Und es sind gerade unter der "GROKO" keinerlei Änderungstendenzen erkennbar, eher im Gegenteil.

Dr. Henning Fischer 01.07.201510:35 Uhr

erklärtes Staatsziel ist die Verschlechterung der medizinischen Versorgung in Deutschland


wer soll denn bitteschön in 2-3 Jahrzehnten die Renten für die explodierende Anzahl von Senioren finanzieren?

(Villmar: sozialverträgliches Frühableben)

Deshalb versuchen alle Bundesregierungen seit Seehofer Ärzte und Pflegepersonal zu vertreiben. Natürlich so, daß keiner die Politik dahinter erkennt.

Das Motto im Gesundheitswesen lautet folgerichtig: Geiz ist geil!

Und wir lassen es geschehen.


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