WIdO-Fehlzeiten-Report
Wie unfaire Vorgesetzte krank machen
Fehlende Wertschätzung oder achtsames Miteinander: Vorgesetzte nehmen durch ihr Verhalten Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) beschreibt die Zusammenhänge.
Veröffentlicht:Berlin. Führungskräfte nehmen mit ihrem Verhalten unmittelbar Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Das geht aus dem am Dienstag vorgestellten Fehlzeiten-Report 2020 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor.
Das Institut befragte insgesamt 2500 Erwerbstätige im Alter von 18 bis 65 Jahren zu ihrem Gerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz.
Psychosomatische und körperliche Beschwerden
Demnach berichtet ein Viertel der Beschäftigten, die sich von ihren Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlen, über Wut und Ärger (23 Prozent). Etwa jeder Fünfte spricht von Lustlosigkeit zu arbeiten (21 Prozent), Erschöpfung (20 Prozent) oder Schlafproblemen (18 Prozent). Auch Rücken- und Gelenkschmerzen (26 Prozent) oder Kopfweh (zehn Prozent) kommen öfter vor, wenn es Dauerstress mit dem Vorgesetzten gibt (siehe nachfolgende Grafik).
Demgegenüber treten solche Beschwerden bei Beschäftigten, die ihre Führungskraft als gerecht erleben, seltener auf (3,4 Prozent). „Gesundheitliche Belastungen bei Beschäftigten mit einer als fair empfundenen Führungskraft sind damit nur ein Viertel so hoch wie bei Beschäftigten mit einer als unfair empfundenen Führungskraft“, sagte der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer, Helmut Schröder.
Öfter vom Arzt krankgeschrieben
Beschäftigte, die sich fair behandelt fühlen, weisen auch weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten auf als Beschäftigte, die im Clinch mit dem Vorgesetzten liegen. Arbeitnehmer, die Vorgesetzten gute Noten in Sachen Fairness geben, kommen laut WIdO-Analyse im Schnitt auf 12,7 AU-Tage im Jahr. In der Gruppe der Berufstätigen, die den Vorgesetzten als ungerecht wahrnehmen, sind es dagegen 15,1 und somit gut zwei krankheitsbedingte Fehltage mehr.
Die Befragung zeigt zudem, dass Fairness im Unternehmen und bei der Führungskraft zu einer höheren Bindung der Beschäftigten ans Unternehmen führt. Die Mitarbeiter fühlen sich besser aufgehoben, identifizieren sich eher mit betrieblichen Zielen und würden das Unternehmen Dritten weiterempfehlen.
„Fairen Betrieben gelingt es eher, hochqualifizierte, selbstständig arbeitende, zufriedene und gesunde Beschäftigte auch dauerhaft an sich zu binden“, so Schröder. In Zeiten des Fachkräftemangels sei das eine „wichtige“ Erkenntnis.
Vorgesetzte haben Scharnierfunktion
Ob ein Unternehmen als gerecht oder ungerecht eingeschätzt wird, hängt laut Studie vor allem mit dem Auftreten der Führungskräfte zusammen. Diese stellten eine zentrale Scharnierfunktion zwischen Betriebsleitung und Mitarbeitern dar.
Der Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, unterstrich daher die Bedeutung von Führungskräften für Krankenstand und für Unternehmenskultur: „Das Handeln von Führungskräften und ihr Umgang mit Beschäftigten beeinflussen das Gerechtigkeitsempfinden der Arbeitnehmer und damit auch deren gesundheitliche Verfassung“, so Litsch.
Aufgrund ihrer Schlüsselfunktion rücke die Gesundheitskasse diese Zielgruppe im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in den Fokus, sagte Litsch. Bei den Präventionsangeboten aller Kassen für die mittlere betriebliche Leitungsebene erreiche die AOK aktuell einen Anteil von 71 Prozent.
Nachholbedarf bei gesunder Streitkultur
Die Studie zeigt auch, dass als gerecht eingestufte Führungskräfte die Bindung der Beschäftigten an ein Unternehmen fördern. So sind es nicht nur monetäre Aspekte, warum Berufstätige ihrem Job treu bleiben.
Ein „Wir-Gefühl“ im Betrieb stärke die Bindungskraft und erhöhe das Vertrauen das Mitarbeiter, betonte Professor Bernhard Badura, Gesundheitswissenschaftler der Uni Bielefeld und Mitherausgeber des Reports. Dadurch steige auch die „intrinsische Motivation, Krisen gemeinsam zu bewältigen“.
Mit Blick auf Anerkennung, Vertrauen und faire Streitkultur haben viele Unternehmen jedoch Nachholbedarf, so die Studie. Nahezu jedem zweiten Beschäftigten (46 Prozent) fehlt es demnach an gerechten Konfliktlösungen. Wertschätzung im Job vermissen knapp 41 Prozent der Befragten. Auch die Rückendeckung kommt zu kurz: Rund ein Drittel (knapp 33 Prozent) bemängelt, dass ihr Unternehmen nicht hinter dem Personal steht.
Badura betonte: „Wir müssen Führungskräfte anders auswählen und beim Thema soziale Kompetenz ständig fortbilden.“ Kränkungen könnten bekanntlich zu Krankheiten führen. Das gelte auch für den Umgang in Unternehmen. Fehlzeiten seien, wenn sie gehäuft auftreten würden, auch ein Zeichen von Fehlorganisation.
Pflegebranche im Fokus
Anerkennung und Wertschätzung seien als „Ressourcen“ auch und vor allem in der Pflegebranche und mit Blick auf die rund 1,6 Millionen Berufstätigen dort entscheidend, betonte AOK-Chef Litsch. Die Corona-Pandemie führe erneut vor Augen, wie wichtig der Berufszweig Pflege für die Gesellschaft sei.
Zugleich seien Pflegekräfte großen körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt, so Litsch. Das bleibe nicht ohne Folgen. Pflegekräfte wiesen im Schnitt 5,5 mehr AU-Tage im Jahr auf als Beschäftigte anderer Branchen.
Ziel müsse sein, die Zahl der Fehltage durch gezielte Gesundheitsförderung im Unternehmen zu reduzieren. Führungskräften käme dabei eine besondere Rolle zu, machte Litsch deutlich.
Programm „Care4Care“ wird getestet
Gemeinsam mit verschiedenen Universitäten habe die AOK ein neues, auf die Pflege zugeschnittenes Konzept zur betrieblichen Gesundheitsförderung entwickelt, berichtete Litsch. Das Programm „Care4Care“ werde derzeit in mehreren Pflegeeinrichtungen getestet und enthalte auch ein Coaching-Tool für Führungskräfte.
Mehr Gerechtigkeit im Unternehmen zu fordern, sei leicht. „Sie umzusetzen, ist eine ständige Herausforderung“, unterstrich der AOK-Chef.