Cytotec zur Geburtseinleitung
Warum Gynäkologen auf Misoprostol setzen
Misoprostol zur Weheninduktion steht unter Verdacht, Gebärenden und ihren Kindern zu schaden. Obwohl das Mittel dafür nicht zugelassen ist, ist der Einsatz üblich. Es wird sogar empfohlen. Ist das Problem die Dosis? Und gibt es Alternativen?
Veröffentlicht:München/Neu-Isenburg. Kliniken und Gynäkologen sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, reihenweise Misoprostol off label zur Geburtseinleitung einzusetzen. In Einzelfällen drohen schwere Komplikationen – bis hin zum Tod des Babys, berichteten die „Süddeutsche Zeitung“ und der Bayerische Rundfunk am Mittwoch.
Den Berichten zufolge soll laut einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck rund die Hälfte der deutschen Geburtskliniken Misoprostol für diese Indikation einsetzen.
Weder die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) noch die Universität Lübeck wollten am Mittwoch auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ Stellung beziehen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) verwies zunächst nur darauf, dass eine Stellungnahme noch in Arbeit sei.
Misoprostol ist unter dem Handelsnamen Cytotec® bekannt. Die sechseckigen Tabletten enthalten 200 μg Misoprostol und waren – als es sie in Deutschland noch gab – der Therapie von Magen- und Duodenalulzera zugedacht.
Seit 15 Jahren nicht mehr auf dem Markt
2006 hat der Hersteller Pfizer das Präparat vom Markt genommen, eine Zulassung für andere Indikationen ist nie beantragt worden und hat es daher auch nie gegeben. Der geburtsmedizinische Off-label-use werde „von Pfizer nicht unterstützt oder gar beworben“, heißt es in einer Stellungnahme des Herstellers.
Schwangerschaft ist eine Kontraindikation für die Einnahme von Cytotec®. Misoprostol kann Kontraktionen des Uterus auslösen, und da mag es erstaunen, dass Ärzte es Schwangeren zur Geburtseinleitung verabreichen. Ein Widerspruch ist das jedoch nicht.
Misoprostol ist ein synthetisches Prostaglandin-E1-Analogon, der Uterus besitzt entsprechende Rezeptoren. Über diese Rezeptoren werden Kontraktion und Relaxation der glatten Muskulatur geregelt. Entsprechend wichtig sind Prostaglandine für die Kontraktionen des Uterus, aber auch für die Zervixreifung während der Geburt.
Es ist also keineswegs so, wie in den Medienberichten zu lesen war, dass die Weheninduktion durch Misoprostol eine Zufallsentdeckung gewesen sei. Im Gegenteil, das Indikationsgebiet läge sogar nahe – hätte es denn jemals einen Antrag dafür gegeben.
Viele Empfehlungen für Misoprostol
Studien, darunter auch Cochrane-Reviews, zum Einsatz von Misoprostol für die Weheninduktion gibt es zuhauf. Die Ergebnisse sind allgemein günstig: Die Zahl nötiger Kaiserschnitte sinkt. Auch die WHO empfiehlt den Einsatz von Misoprostol, obzwar in niedriger Dosierung von 25 μg alle zwei Stunden.
In den Berichten über schwer geschädigte Kinder und Mütter nach Geburtseinleitung mit Misoprostol stehen deutlich höhere Dosierungen im Raum.
Doch auch in Studien wurden schon höhere Dosen von Misoprostol untersucht, ohne dass es häufiger als unter Placebo zum gefürchteten Wehensturm, einer Hyperstimulation des Uterus, gekommen wäre.
Ausweislich des Arzneimittelverzeichnisses „Lauer-Taxe“ wird Cytotec® in Deutschland nurmehr von Re-Importeuren (Kohlpharma, EurimPharm, Emra-Med) angeboten.
Zugelassene Alternative verfügbar
Tatsächlich gäbe es sogar eine zugelassene generische Alternative zur Geburtseinleitung, nämlich das Hormon Oxytocin, das als i.v.-Lösung in Deutschland vermarktet wird.
In der abgelaufenen S1-Leitlinie „Anwendung von Prostaglandinen in Geburtshilfe und Gynäkologie“ der DGGG wurde Oxytocin neben Prostaglandinen mit hohem Empfehlungsgrad genannt.
„Prostaglandine und i.v.-Oxytocin sind unabhängig vom Reifegrad der Zervix und der Parität bei Blasensprung in Terminnähe äquieffektiv zur Geburtseinleitung“, heißt es da mit Empfehlungsgrad A.
Allerdings wurden dort mit demselben Grad „Prostaglandine zur Geburtseinleitung unabhängig vom Reifegrad der Zervix und Parität bei Schwangeren mit intakten Eihäuten gegenüber Oxytocin bevorzugt“ empfohlen.
Versorgungsengpass bei Oxytocin im letzten Jahr
So könnte auch die frühere S1-Leitlinienempfehlung maßgeblich für den bevorzugten Einsatz von Misoprostol sein.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) wollte sich am Mittwoch auf Nachfrage jedenfalls nicht dazu äußern, ob der Off-label-use von Misoprostol durch Lieferausfälle motiviert sein könnte.
Anfang vorigen Jahres waren bundesweit mehrere Oxytocinpräparate nicht mehr erhältlich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte daraufhin einen Versorgungsmangel erklärt, um etwaige Oxytocin-Bestände unter Umgehung damals neu implementierter Sicherheitsanforderungen („Securpharm“) leichter in Verkehr bringen zu können.