Debatte um Ergänzung der Kosten-Nutzen-Bewertung

Was dürfen Innovationen kosten?

Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner hält die in Deutschland bisher nicht etablierte Kosten-Nutzen-Analyse für eine wichtige zusätzliche Information, um zu einem „Preisanker“ zu kommen.

Von Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Fachleute diskutieren, ob es ergänzende Instrumente braucht, um den therapeutischen Stellenwert eines neuen Arzneimittels und seinen Preis zu bestimmen. Ein Kandidat dafür: die Kosten-Nutzen-Bewertung.

Fachleute diskutieren, ob es ergänzende Instrumente braucht, um den therapeutischen Stellenwert eines neuen Arzneimittels und seinen Preis zu bestimmen. Ein Kandidat dafür: die Kosten-Nutzen-Bewertung.

© Doris Heinrichs / stock.adobe.com

Düsseldorf. Bei der Preisfindung für innovative Arzneimittel wird die Bedeutung einer Kosten-Nutzen-Analyse unterschätzt, findet der Bielefelder Gesundheitsökonom Professor Wolfgang Greiner. Die Methode habe hierzulande anders als in vielen anderen europäischen Ländern einen schweren Stand, sagte er bei einem digitalen Forum der Techniker Krankenkasse in Düsseldorf. „Das liegt an Missverständnissen.“

Es gehe nicht darum, die Entscheidung ausschließlich auf die Kosten-Nutzen-Analyse zu stützen, erläuterte Greiner. Außer vielleicht in Großbritannien beschränke man sich nirgendwo ausschließlich auf diesen Ansatz. „Andere Länder zeigen uns, dass es eine wichtige zusätzliche Information ist, die man nutzen sollte, um zu einem Preisanker zu kommen.“ Wenn Kassen und Hersteller über den Preis verhandeln, sollten sie seiner Meinung nach das Verhältnis von Kosten und Nutzen zumindest kennen.

„Dauerbrenner“ gerechter Preis

Die Diskussion über einen fairen und gerechten Erstattungspreis für hochpreisige Innovationen bezeichnete Greiner als „Dauerbrenner“. Dabei spiele der Aspekt der Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Innovationen seien erwünscht. „Gleichzeitig gibt es die gesellschaftliche Wahrnehmung, dass eine Monopolsituation ausgenutzt wird.“

Als ein Beispiel für schwierige Konstellationen nannte er die therapeutischen Solisten: Mit ihnen kann man Patienten behandeln, die man vorher nicht behandeln konnte. Deshalb fehle ein Anker als Zielvorstellung für die Preisverhandlungen. „Der Hersteller kann mit seinem Preis einen Anker setzen.“

Eine weitere Herausforderung sei die immer häufiger auftretende Situation, dass sich gerade bei individuellen Therapien früh Fortschritte zeigen. Man könne oder wolle den Patienten diese Therapien nicht vorenthalten, obwohl es noch keine ausreichende Evidenz gibt. „Die Unsicherheit spiegelt sich in den Preisen wider“, sagte der Gesundheitsökonom.

Die Krankenkassen stellten sich nicht gegen Innovationen, sagte Ulrike Elsner, die Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen. „Bei den Ersatzkassen ist moderne Medizin ein Angebot, das quasi zur DNA gehört.“ Es gehe den Kassen nicht um das Ob der Erstattung, sondern um das Wie.

Profitieren die Patienten tatsächlich?

„Ich glaube, wir müssen uns mit der Frage der Rahmenbedingungen befassen“, erläuterte Elsner. Entscheidend sei, wie Innovationen ins System kommen und ob die Patienten sie erhalten, die tatsächlich davon profitieren. Nach Einschätzung Elsners soll die Nutzenbewertung von Innovationen einen wichtigen Stellenwert behalten. „Ich habe den Eindruck, dass sie ein bisschen verwischt werden soll.“ Das machte sie daran fest, dass sich Erstattungsentscheidungen auch auf Register statt allein auf klinische Studien stützen sollen. „Da ist noch Luft, bevor wir die Kosten-Nutzen-Bewertung brauchen.“

Die stark steigenden Preise bei Innovationen – Stichwort Zolgensma – seien eine Herausforderung, auf die man reagieren muss, betonte Professor Joachim Boldt, stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Wir brauchen jetzt eine Stellschraube, an der wir drehen können, um solche Entwicklungen zu steuern.“ Die Kosten-Nutzen-Analyse sei wegen der Frage der Gerechtigkeit ethisch problematisch. Den indikationsspezifischen Ansatz des IQWiG findet Boldt allerdings „der Sache nach für gut“. „Schwierig wird es, wenn man es mit ganz unterschiedlichen Entitäten zu tun hat“, sagte er.

Umgang mit Innovationen betrifft nicht nur Arzneimittel

Boldt hält es für eine Option, dass das IQWiG eine Kosten-Nutzen-Analyse in den Prozess der Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss einspeist. „Dann steht sie den Verhandlern zur Verfügung.“

Innovationen im Gesundheitswesen seien ein vielschichtiges Thema und nicht auf Arzneimittel beschränkt, sagte Greiner. Er verwies auf Innovationen im Krankenhaus und in der Versorgungssteuerung. Ein neuer Bereich seien die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). „DiGA sind ein aufgehender Stern, den muss man im Blick behalten.“

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