Suizid-Hilfe
Wenig Sensibilität im Justizministerium?
Eine Bestrafung bei absichtlicher und gewerbsmäßiger Hilfe zum Suizid - ein solches Gesetz hat das Justizministerium vorbereitet. Doch bei der Formulierung waren die Referenten hier und da etwas ungenau. Jetzt üben Spitzenjuristen harte Kritik daran.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Es geht um Beihilfe zur Selbsttötung - das ist juristisch gesehen etwas anders als Sterbehilfe: Eine ungenaue Formulierung und die Empörung darüber ist im nachrichtlichen Sommerloch im vollen Gang.
Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur "Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung" löste in den vergangenen Tagen heftige Kritik aus.
So steht es im Entwurf
Paragraf 217: Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.
Dabei geht es zunächst gar nicht um den Gesetzestext an sich - der neue Paragraf 217 enthält zwei Absätze - sondern um die Begründung auf den folgenden Seiten.
Um den geplanten Absatz zwei ("Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist") zu erklären, haben Mitarbeiter im Justizministerium einige Beispiele beschrieben - darunter auch den Fall, dass auch Ärzte und Pflegekräfte unter die "nahestehenden" Personen fallen könnten, "wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist."
Begriffe unterscheiden
Kritik an der Begründung zum zweiten Absatz kommt inzwischen nicht nur vom Chef der Bundesärztekammer, den Palliativmedizinern oder der Hospizstiftung, sondern auch von juristischer Seite: "Dieser zweite Absatz des Entwurfes ist im höchsten Maße verwirrend und fehl am Platze", erklärt Professor Ruth Rissing-van Saan im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Die Juristin fällt kein gutes Urteil über die Vorlage aus dem Justizministerium. Die juristischen Begriffe der Gewerbsmäßigkeit und der Absicht im ersten Absatz des neuen Paragrafen 217 reichen nach ihrer Meinung völlig aus, um die Intention des Gesetzgebers klarzustellen.
Es soll - so betont es auch das Ministerium - die gewerbsmäßige und absichtliche Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden. Daher benötige es den Zusatz der Straffreiheit für Angehörige aus Absatz zwei nicht.
Denn: "Sterbehilfe im Sinne von Behandlungsbegrenzung und Leidensminderung ist straffrei, ebenso die Beihilfe zur Selbsttötung. Die gewerbsmäßige Verschaffung der Gelegenheit zur Selbsttötung soll bestraft werden", erklärt die Juristin.
Rissing-van Saan war Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, als unter ihrer Leitung im Juni 2010 das wegweisende Urteil zur Sterbehilfe verkündetet wurde.
Sie warnt davor, juristische, populäre und medizinische Begriffe durcheinander zu bringen. Man müsse unterscheiden zwischen straflosem Verhalten bei der Sterbehilfe und eventuell strafbaren Verhaltensweisen beim Suizid.
Verärgerung bei den Palliativärzten
Dies seien zwei juristisch unterschiedliche Sachverhalte. Zu den strafbaren Verhaltensweisen soll das organisierte und gewerbsmäßige Vermitteln von Gelegenheiten zum Suizid gehören.
Dies wird in Absatz eins geregelt, "und dieser ist auch in der Begründung juristisch gesehen völlig in Ordnung", so Rissing-van Saan.
Der zweite Absatz soll demnach auch nur die Teilnahme an der neuen Straftat regeln, ist aber in seiner jetzigen Fassung irreführend formuliert.
Auch Palliativmediziner fühlen sich von dem Entwurf und der Begründung in ihrer Tätigkeit missverstanden. In der Begründung heißt es: "So bleibt etwa der Palliativmediziner weiterhin straffrei, der einem unheilbar kranken Patienten ein Schmerzmittel zur Bekämpfung sogenannter Vernichtungsschmerzen bereitstellt (...)".
Das empört die Palliativärzte: "Diese Begründung ist eine völlig misslungene Formulierung, die an der Versorgungsrealität nicht nur in der Palliativmedizin vorbei geht", sagte Thomas Sitte, Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung der "Ärzte Zeitung".
Er zeigte sich verwundert, dass ein so hochsensibles Thema juristisch nicht besser formuliert wurde.
Keine "Herzensangelegenheit" der Ministerin
"In solch einem Entwurf muss es eine scharfe Abgrenzung der medizinischen Tätigkeiten in unterschiedlichen Situationen, wie beispielsweise von Hausärzten oder Intensivmedizinern geben", erklärt Sitte.
"Dem Gesetzgeber sei empfohlen, sich ganz intensiv in das Thema auch aus der Sicht der Versorgungspraxis heraus einzuarbeiten", sagte Sitte.
Ein intensives Einarbeiten und juristische Klarstellung hatte die Deutsche PalliativStiftung bereits gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium angeboten.
Sitte fragte beim Ministerium an, ob das Bundesgesundheitsministerium ein Gutachten beim Deutschen Richterbund in Auftrag gegeben werden könne, in dem rechtliche Fragen am Lebensende, zur Sterbehilfe, zur palliativmedizinischen Versorgung sowie zum Betäubungsmittelrecht geklärt werden.
Kosten: Anreise und Unterbringung für die Gutachter. Auf eine Antwort des Ministeriums wartet Thomas Sitte seit Oktober 2011.
Die Welle der Kritik hat das Bundesjustizministerium überrascht. Von dort hieß es, der Gesetzentwurf sei keine "Herzensangelegenheit" der Ministerin, sondern es werde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Dort steht auf Seite 108 unter dem Stichwort "Sterbehilfe": "Die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung werden wir unter Strafe stellen."
Sterbehilfe und Selbsttötung - schon im Koalitionsvertrag beginnt also die terminologische Ungenauigkeit - die sich nun weiter durch das nachrichtliche Sommerloch trägt.