Sterbehilfe

FDP-Vorschlag erzürnt Ärzte

Ein Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe: so will es Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberg. Jetzt hat sie einen Gesetzentwurf vorgelegt - und prompt den Unmut der Ärzte erregt.

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Hilfe für ein Ende des Lebens? Für Ärzte gilt immer noch die Berufsordnung.

Hilfe für ein Ende des Lebens? Für Ärzte gilt immer noch die Berufsordnung.

© Dean Pictues / imago

BERLIN/NEU-ISENBURG (sun/bee/nös). Unsanfter Weckruf aus dem Sommerurlaub: Das Thema Sterbehilfe hat in Berlin die Gemüter erhitzt - von Politikern, Ärzten und Patientenvertretern.

Anlass ist ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium. Damit soll erstmals in Deutschland die Strafbarkeit von Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden.

In dem Gesetzesentwurf, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt, will Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Sterbehelfer mit bis zu drei Jahren Haft bestrafen, wenn sie "absichtlich und geschäftsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewähren, verschaffen oder vermitteln".

Geplant ist die Wiedereinführung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch (StGB), der bis 1998 die Strafbarkeit bei "Kindstötung" geregelt hatte.

Bereits die Begrenzung auf die "geschäftsmäßige Sterbehilfe" war vor einigen Monaten Anlass für Ärger. Der Bundesärztekammer und dem 115. Deutschen Ärztetag gingen die damals bereits bekanntgewordenen Pläne nicht weit genug. Die Delegierten hatten in Nürnberg schließlich ein Verbot jeglicher Form organisierter Sterbehilfe gefordert.

Doch der jetzige Stein des Anstoßes ist eine Ergänzung, die nach Ansicht vieler dem ärztlich assistierten Suizid Tür und Tor öffnen wird. Denn nach dem geplanten Absatz 2 ist die Beihilfe zum "nicht gewerbsmäßigen" Suizid dann straffrei, wenn "der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist".

Das will heißen: Wer etwa eine enge soziale Beziehung zu einem anderen hat, darf ihm straffrei beim Suizid helfen, sofern er damit kein Geld verdient.

Dass diese Regelung auch für Ärzte und andere Heilberufe gelten kann, räumen selbst die Fachleute von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ein.

Starker Gegenwind von der BÄK

In der Gesetzesbegründung schreiben sie: "Auch Ärzte oder Pflegekräfte können darunter fallen, wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist, wie dies zum Beispiel beim langjährigen Hausarzt oder einer entsprechenden Pflegekraft der Fall sein kann."

Und: "So bleibt etwa der Palliativmediziner weiterhin straffrei, der einem unheilbar kranken Patienten ein Schmerzmittel zur Bekämpfung sogenannter Vernichtungsschmerzen bereitstellt (...)."

Allein schon diese Begründung bringt die Palliativärzte auf die Palme: "Diese Begründung ist eine völlig misslungene Formulierung, die an der Versorgungsrealität nicht nur in der Palliativmedizin vorbei geht", sagte Thomas Sitte, Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung der "Ärzte Zeitung".

Insgesamt ernteten die Vorschläge am Dienstag denn auch heftige und vehemente Kritik: "Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus", erklärt der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, in Berlin.

"Der assistierte Suizid soll in Deutschland salonfähig gemacht werden", fügte Eugen Brysch an, der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung. Er kritisiert vor allem, dass in dem Entwurf der Kreis der Personen erweitert wird, die straffrei gewerbsmäßigen Suizidhelfer unterstützen dürfen, sprich: Ärzte und Pfleger.

Mit der Ärzteschaft sei nicht zu machen: "Als Sterbehelfer stehen wir Ärzte nicht zur Verfügung", so Montgomery. Der BÄK-Präsident bewertet den Entwurf so, dass das Justizministerium plane, "die gesetzlichen Grundlagen für Ärzte als Sterbehelfer zu schaffen."

Doch gerade an dieser Stelle widersprechen die Ministeriumsreferenten in ihrem Entwurf. Auf Seite 11 heißt es schließlich: "Sollte im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis (Heilberufe, Anm. d. Red.) Suizidhilfe gewährt werden, geschieht dies typischerweise gerade nicht 'gewerbsmäßig‘."

BÄK-Präsident Montgomery verwies schließlich auf die geltende Musterberufsordnung (MBO). Erst im vergangenen Jahr hatte der 114. Ärztetag in Kiel die MBO verschärft. Damals hatten die Delegierten in einer mehrstündigen, konzentrierten und emotionalen Debatte ein Verbot der Sterbehilfe eingeführt.

Gericht hatte Sterbehilfe gekippt

Seitdem heißt es im einschlägigen Paragrafen 16: "Es ist ihnen (Ärzten, Anm.) verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Berichtigung

01.08.2012: Tatsächlich hatten nicht drei, sondern insgesamt sieben Ärztekammern den neuen Wortlaut der Musterberufsordnung zu Paragraf 16 bis zum 31.07.2012 übernommen. Die Redaktion bittet diesen Fehler zu entschuldigen.

Übernommen haben diese Änderung aber bislang nur drei sieben Kammern: Westfalen-Lippe, Nordrhein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Niedersachsen und Sachsen. Die anderen zehn Kammern verwenden in ihren Berufsordnungen noch die alte, wesentlich weichere Formulierung.

Das katholisch geprägte Bayern ist sogar noch liberaler. Dort heißt es schlicht: "Der Arzt hat Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen."

Doch dass selbst die berufsrechtlichen Regelungen anfechtbar sind, hat der Fall des Berliner Urologen Uwe A. gezeigt. Er wollte einer Patientin eine tödliche Dosis eines Medikamentes überlassen.

Von der Kammer erhielt er daraufhin eine Unterlassungserklärung. Gegen die wiederum zog er vor das Verwaltungsgericht, wo er Ende März Recht bekam.

Die Begründung des Gerichts: Die Verfügung der Kammer greife zu tief in die Berufsfreiheit ein und konkretisiere im Einzelfall eine medizinethische Debatte, die selbst innerhalb der Ärzteschaft kontrovers geführt wird.

Heftige Kritik aus der Union

Außerdem, so die Richter, lasse sich aus keinem Regelwerk ein Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid begründen. Auch die seit Juni 2011 neu gefasste Musterberufsordnung der BÄK greife hier nicht, da sie als lediglicher Grundsatzkatalog in "Zweifelsfragen weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit" geben können.

Außerdem verwiesen die Richter auf Artikel 12 des Grundgesetzes ("Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden."). Diese Freiheit könne nur eingeschränkt werden, wenn es dafür gesetzliche Grundlagen gebe.

Und auch die geschützte Gewissensfreiheit aus Artikel 4 des Grundgesetzes schütze den einzelnen Arzt vor einem generellen Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid.

Die Diskussion um die Strafbarkeit von Sterbehilfe ist nun allerdings erneut eröffnet - und sie könnte sogar einen Krach unter den Regierungsparteien auslösen.

Denn die Regelungen, dass Ärzte und Pflegekräfte mit Angehörigen, die sich in einer emotionalen Zwangslage befinden, auf eine Stufe gestellt werden, gehen der CDU deutlich zu weit.

"Das ist inakzeptabel, denn es öffnet dem Missbrauch Tür und Tor", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn der "Ärzte Zeitung". Spahn: "Menschen, die berufsbedingt in einer engen Beziehung zum Patienten stehen, sollten nicht Sterbehilfe leisten dürfen. Wer will da die Grenze ziehen?"

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Kommentare
Lutz Barth 31.07.201220:06 Uhr

„Stück aus dem Tollhaus?“

Mit Verlaub: Der Präsident der BÄK sollte sich in vornehmer Zurückhaltung üben.

Es kann im aufgeklärten 21. Jahrhundert nicht salonfähig werden, dass eine Standesorganisation ohne jedwedes Maß in die Grundrechte ihrer eigenen Mitglieder eingreift und „ethische Zwangsdiktate“ im ärztlichen Berufsrecht als „Musterregelung“ vorschlägt.

Nicht der von der Justizministerin vorgelegte Entwurf erregt die Gemüter, sondern allenfalls die ungeheure Selbstherrlichkeit mancher Standesgenossen, die da meinen, die Interpretationsherrschaft nicht nur über das Standesethos, sondern gleichsam auch noch über die individuelle Gewissensentscheidung ihrer Berufskollegen nehmen zu können.

Auch der BÄK sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein, dass namhafte Ethiker, Philosophen und Juristen keinerlei Verständnis für ein ethisches Zwangsdiktat hegt, zumal ohne erkennbare Not Grundrechte der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen versenkt werden.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwann ein Ärztetag Juristen vorgeschrieben hat, was diese zu tun haben. Dass dies nicht umgekehrt immer wieder geschieht – dafür werde ich mich einsetzen! Auch Juristen sollten nur von dem sprechen, wovon sie etwas verstehen!“, so Montgomery (vgl. dazu Loosen, Werner, Die Katholische Akademie lud im April zum Kolloquium „Beihilfe zur Selbsttötung?“ ein – „Das ist uns Ärzten verboten und sollte nicht verändert werden!“, in Hamburgisches Ärzteblatt 05/2007, S. 250-251 (251)).

Abermals mit Verlaub: Hier sollte der Präsident seine eigene Worte beherzigen und im Übrigen beredt schweigen, wenn es darum geht, nach einer liberalen Regelung der (ärztlichen) Suizidbeihilfe zu streben, die im Interesse schwersterkrankter und sterbender Menschen liegt.

Nicht jedem erschließt sich die hohe Bedeutung der Grundrechte, die in vorrangig subjektive Rechte sind und es schickt sich nicht, ethischen Druck auf die eigenen Berufsangehörigen auszuüben, die in Einzelfällen für sich es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, bei einem frei verantwortlichen Suizid zu assistieren.

Die Funktionäre der BÄK, aber auch die Delegierten in den „Landesärzteparlamenten“ haben angesichts einer seit Jahrzehnten anhaltende Wertedebatte mehr als versagt, zumal in Kenntnis anderslautender fachkundiger Expertisen, u.a. der Ethikräte. In diesem Sinne gilt: Wer die Ethik nicht fühlen will, muss das Recht spüren! Punkt um!

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