Aids
Wichtige Zielgruppen werden mit Anti-HIV-Strategien noch immer nicht erreicht
Entstigmatisierung, Nichtdiskriminierung und zielgruppenspezifische Strategien sind erforderlich, um die WHO-Ziele zur Eliminierung von HIV und Aids zu erreichen. Deutschland muss national und international nacharbeiten.
Veröffentlicht:Berlin. Die Corona-Pandemie hat die Welt von dem von der WHO gesteckten Ziel, HIV und Aids bis 2030 weitgehend zu eliminieren, erheblich zurückgeworfen – insbesondere in den am meisten betroffenen Ländern des südlichen Afrika. Die Pandemie bietet aber auch die Chance, von ihr zu lernen, insbesondere bei der globalen Bekämpfung von HIV, wenn der entsprechende politische Wille vorhanden ist, so der Bonner Virologe Professor Hendrik Streeck am Dienstag beim digitalen Fachforum Gesundheit des „Tagesspiegel“ in Berlin.
Nach Daten der WHO und von Unaids hat die in großen Teilen des südlichen Afrika für rund sechs Monate unterbrochene Therapie von HIV-Infizierten die HIV-Bekämpfung um bis zu zehn Jahre zurückgeworfen. Der in den meisten Ländern praktizierte Lockdown habe, so Streeck, Lieferketten unterbrochen, Tests und Behandlungen teilweise unmöglich gemacht. Besonders ausgeprägt seien diese pandemiebedingten Versorgungsdefizite in Südafrika gewesen, mit einem Rückgang der Tests und Therapiestarts um rund 50 Prozent, in der Spitze sogar bis zu 90 Prozent.
HIV und Aids uninteressanter
Auch in westlichen Ländern sei die Zahl der Tests und Prep-Behandlungen rückläufig gewesen. Insgesamt habe die Corona-Pandemie die Aufmerksamkeit für HIV und Aids gesenkt.
Es hänge nun im Wesentlichen vom politischen Willen ab, so Streeck, für die Bekämpfung von HIV aus der Pandemie zu lernen. Eine Hoffnung dabei sei die mRNA-Technologie, die eine Chance darstelle, einen Impfstoff gegen das hochkomplexe HI-Virus zu entwickeln. Unbedingt erforderlich sei es, in Bezug auf Pandemien – insbesondere auch hinsichtlich Corona, die Risiken, etwa von Mutationen, global zu denken. Dazu müsse die WHO gestärkt werden.
Chancen für Screening stehen gut
Der Leiter des Berliner IGES-Instituts, Professor Bertram Häussler, sieht auf Basis der Pandemieerfahrungen gute Chancen für ein intensiveres und zielgruppenspezifisches Screening sowie niedrigschwellige (Selbst-)Testangebote. Die Prep-Behandlung sei noch entwicklungsbedürftig und weiter auszubauen. Wenn dies geschehe, dann sei es möglich, in der Zielgruppe der MSM die HIV-Inzidenz um 50 Prozent zu senken.
Ferner sei es notwendig, den Drogengebrauch sicherer zu machen. Weitgehend unausgeschöpft sei das Aufklärungs-, Präventions- und Behandlungspotenzial im Justizvollzug. Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe bestätigt dies: Unter Haftbedingungen sei das Risiko für eine HIV-Infektion aufgrund kontaminierter Spritzen oder ungeschützten Geschlechtsverkehrs um das Hundertfache erhöht.
Mehr Engagement von Hausärzten erwünscht
Er wie auch Robin Rüsenberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä), plädieren für eine Entstigmatisierung und mehr Aufklärung. Rüsenberg: „Wir müssen dazu das Leben mit Aids zeigen und nichtbegründete Angst abbauen.“ Das gelte auch für die wichtige Zielgruppe der Hausärzte, von denen er sich ein stärkeres Engagement in der Versorgung erhofft. Positiv sehen Rüsenberg und Wicht die Rolle der Medien, die mit mehr Informationen über Minderheiten, etwa über LGBTQ, dazu beitragen, Vorurteile abzubauen.
Die WHO-Ziele zur Bekämpfung von HIV erreicht Deutschland derzeit nur teilweise: Nu 88 Prozent der HIV-Positiven sind diagnostiziert; das Ziel wird um drei Punkte verfehlt. Die beiden anderen Ziele – 90 Prozent der Diagnostizierten erhalten eine Behandlung, bei ebenfalls 90 Prozent liegt die Viruslast unter der Nachweisgrenze – übertrifft Deutschland derzeit mit Werten von 97 und 96 Prozent.
Für 2025, so die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Claudia Schmidtke, strebe die WHO Zielwerte von 95/95/95 Prozent weltweit an – mit dem Ziel, bis 2030 HIV ganz zu eliminieren. Dazu müsse auch eine Inklusionsstrategie für LGBTQ eingesetzt werden.