Notfallrettung

Widerstand gegen verlängerte Hilfsfristen

Im Südwesten wird die Latte, dass ein Ersthelfer in zehn Minuten vor Ort sein soll, notorisch gerissen. Jetzt will das Land die Hilfsfristen ausweiten.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

STUTTGART. Bislang schreibt das Rettungsdienstgesetz vor, dass Rettungswagen und Notarzt ab dem Eingang der Meldung in der Leitstelle "möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten" brauchen dürfen.

Wurde die Rettungsfrist im Jahr 2012 noch in 25 der 37 Rettungsdienstbereiche im Südwesten eingehalten, so war dies im vergangenen Jahr nur noch in 15 Regionen der Fall.

Das Innenministerium tröstete sich bei der Bekanntgabe der schlechten Zahlen im Mai dieses Jahres damit, die Einhaltung der Hilfsfrist sei ja nur "ein Indikator für die Versorgung der Patienten".

Künftig zwölf Minuten Zeit?

Schon damals stellte das Ministerium als "Modell" eine zweistufige Hilfsfrist in Aussicht: Maximal zwölf Minuten darf es bis zum Eintreffen des Rettungswagens dauern, bis zu 18 Minuten dürfen bis zur Ankunft des Notarztes vergehen.

Aus dem Denkmodell ist mittlerweile ein festes Vorhaben geworden. Im Frühling solle das Gesetzgebungsvorhaben starten, hieß es aus dem Innenministerium.

Zum Vergleich: Die Hilfsfristen in anderen Bundesländern reichen von acht Minuten im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen bis hin zu maximal 17 Minuten in ländlichen Regionen Thüringens.

Das Deutsche Rote Kreuz in Baden-Württemberg, das rund 80 Prozent der Notfallrettungen verantwortet, weist das Vorhaben des Innenministeriums zurück.

Ziel dürfe nicht der Ist-Zustand, sondern müsse die aktuelle Zielvorgabe des Rettungsdienstgesetzes sein, forderte Lorenz Menz, Präsident des DRK-Landesverbands Baden-Württemberg: Zehn bis höchstens 15 Minuten in 95 Prozent der Einsätze, dahinter dürfen wir nicht zurück", forderte er.

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hatte schon im Sommer eine Verlängerung der Hilfsfristen als "aus ärztlicher Sicht untragbar" abgelehnt.

Dr. Eduard Kehrberger, Landesvorsitzender Baden-Württemberg bei der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (agswn), übt grundsätzliche Kritik an der Organisation des Rettungsdienstes im Südwesten: Kommunen hätten in diesem wichtigen Teil der Daseinsvorsorge praktisch keinen Einfluss, sagte Kehrberger der "Ärzte Zeitung".

Denn in den zuständigen 37 Bereichsausschüssen sitzen Vertreter aus Rettungsorganisationen und Kassen. "Gegen die Kostenträger fällt nirgendwo eine Entscheidung", so Kehrberger.

Organisationsmodell "gescheitert"

Das bisherige Organisationsmodell im Südwesten bezeichnet er als "gescheitert" und fordert, diese Aufgabe müsse in kommunale Verantwortung übergeben werden.

Dass Kassen immer mit am Tisch sitzen, zieht Bremsspuren bei den Ausgaben mit sich: In Baden-Württemberg koste der Rettungsdienst knapp 30 Euro pro Einwohner, in Hessen seien es mehr als 60 Euro, berichtete Kehrberger.

Ein Element in einem reformierten Rettungsdienstgesetz müsse die Integration der neuen Notfallsanitäter sein, fordert Kehrberger. Diese sind künftig besser ausgebildet als die bisherigen Rettungssanitäter. Langfristig hätten die Notfallsanitäter das Potenzial, die Zahl der Notarzteinsätze zu reduzieren.

Bis es soweit ist, würden noch sieben bis zehn Jahre vergehen, prognostiziert Kehrberger. Zudem stockt in vielen Bundesländern die einheitliche Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes.Widerstand gegen die vom Innenministerium geplante längere Hilfsfrist kommt auch von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).

Professor Reinhard Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär der Gesellschaft, nannte das Vorhaben "rückwärtsgewandt": Wir müssen Überlebenschancen verbessern, nicht minimieren.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Herz-Kreislauf-Stillstand unbeschadet zu überleben, nimmt ohne Therapie pro Minute etwa um zehn Prozent ab", sagte Hoffmann.

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