Hintergrund
Wie Ärzte helfen können, den Frieden zu fördern
Auch in Krisengebieten muss die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gewährleistet sein. Für die dort eingesetzten Ärzte eine brisante Lage. Nicht selten wird das medizinische Personal bedroht. Trotzdem können Ärzte maßgeblich zum Frieden beitragen.
Veröffentlicht:Weltweit sind Ärzte mit den Folgen von Gewalt konfrontiert. Sie operieren Kriegsopfer, behandeln Folteropfer und versorgen Opfer sexualisierter Gewalt. Ärzte sind die wichtigsten Zeugen von Gewalt und zeigen Verantwortung, indem sie jene dokumentieren. Damit leisten sie auch einen Beitrag zur Prävention und zum Frieden.
Wie medizinische Daten internationale Friedenskampagnen befördern, darüber hat der britische Chirurg Dr. Robin Coupland vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) auf dem von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) veranstalteten Kongress "Medizin und Gewissen" in Erlangen berichtet.
Steigende Zahl von Verletzungen durch Anti-Personen-Minen
Als Chirurg war Coupland unter anderem in Thailand, Kambodscha und Pakistan tätig. Sein Einsatz in Afghanistan fiel in die Zeit nach Ende der sowjetischen Besatzung und die Einnahme Kabuls durch die Mudschahedin.
Schnell wurde auf internationaler Ebene über eine Rückführung der nach Pakistan geflohenen Afghanen diskutiert. Coupland und seine Kollegen warnten, da sie eine steigende Zahl von Verletzungen, ausgelöst durch Anti-Personen-Minen, registriert hatten.
Krankheitsdaten führten dazu, Minen zu beseitigen
Durch intensive Befragungen des afghanischen Krankenhauspersonals rechneten sie nach, dass im Zeitraum zwischen Januar 1991 und März 1993 der Anteil von Frauen und Kindern, die durch Minen verletzt oder getötet worden waren, von sieben auf 30 Prozent gestiegen war.
"Wir hatten die Daten", so Coupland, "und konnten damit nachweisen, dass die Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Heimatland eine große Gefahr darstellte." Nicht zuletzt durch ihre öffentlichen Appelle beseitigten die Behörden, unterstützt von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Minen.
Ermittelte Daten helfen Versorgungslage der Patienten zu verbessern
Coupland und seine Mitstreiter gingen noch weiter: Mit Politikern und Militärvertretern diskutierten sie den Nutzen und Schaden von Anti-Personen-Minen und hatten damit maßgeblichen Anteil an der Unterzeichnung der Ottawa-Konvention am 3. Dezember 1997, der Anti-Personen-Minen völkerrechtlich verbietet.
Mit Hilfe der von ihnen ermittelten Daten tragen Ärzte dazu bei, die Versorgungslage ihrer Patienten zu verbessern, wie Coupland erläuterte.
Um die Ursachen dafür zu ermitteln, wodurch die Gesundheitsfürsorge in Krisengebieten am häufigsten unterbrochen wird, hat er zusammen mit Kollegen 655 Vorfälle in 16 Ländern analysiert, die von den UN, Rot-Kreuz-Mitarbeitern, NGOs oder Nachrichtensendern wie BBC und CNN dokumentiert wurden.
Medizinische Versorgung durch nichtstaatliche Akteure am häufigsten gefährdet
Dabei ergab sich, dass die medizinische Versorgung von Kriegsopfern am häufigsten durch nichtstaatliche Akteure gefährdet wird, darunter Rebellen, aber auch Verwandte von Patienten, die in Kliniken oder Lazaretten Personal bedrohen oder attackieren.
Durch den dokumentierten Nachweis extrem langer Grenz- oder Checkpoint-Kontrollen konnten IKRK-Mitarbeiter erreichen, dass ihre eigenen Transporte schneller passieren durften; durch Gespräche mit Clanführern wurden Ärzte weder auf dem Weg zur Arbeit noch am Arbeitsplatz von bewaffneten Clanmitgliedern attackiert; öffentliche Kampagnen haben in einigen Ländern bewirkt, dass Ärzte, die Rebellen behandeln, keine staatlichen Repressionen mehr fürchten müssen.
"Unsere Arbeit ruht auf vier Säulen"
"Unsere Arbeit ruht auf vier Säulen", führte Coupland aus: "den Daten, unserer Glaubwürdigkeit, Bildern und der öffentlichen Meinung." Medizinische Daten würden nicht allein von den Mitarbeitern der Krankenhäuser erhoben, auch Nichtregierungsorganisationen trügen zur Dokumentation bei.
Das Ringen um Glaubwürdigkeit geht für Coupland soweit, dass seine Organisation das Wort "Frieden" in Gesprächen mit Konfliktparteien vermeidet, da es auch eine politische Konnotation hat. Fotografien dokumentieren das Leid der Menschen und beeinflussen durch ihre emotionale Wirkung die öffentliche Meinung.
Ärzte erkennen Notlagen und ihre Ursachen
Ärzte seien schon allein ihres Berufs wegen Friedensaktivisten, sagte Dr. Klaus Melf, Koordinator des von der Europäischen Union unterstützten Projektes "Medical Peace Work", auf dem IPPNW-Kongress in Erlangen.
Sie wiesen auf Notlagen hin, ermittelten deren Ursachen und trügen dazu bei, Konflikte zu entschärfen oder zu lösen. Um Ärzte, Schwestern, Pfleger und Medizinstudenten in Friedensarbeit zu schulen, haben Melf und seine Kollegen sieben Online-Kurse entwickelt.
Darin geht es beispielsweise um die Auswirkungen von Gewalt auf das Individuum und die Gesellschaft sowie um Gewaltprävention und die Möglichkeiten, als Angehöriger eines Gesundheitsberufs aktiv an friedenserhaltenden oder -schaffenden Maßnahmen mitzuwirken.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ärztliches Handeln ist Friedensarbeit