Hoheitsrecht perdu
Wie Ländern die Klinikplanung entglitten ist
Die Letzte macht das Licht aus: Noch sind viele marode Kliniken am Netz, doch weil die Länder ihrer Investitionspflicht kaum nachkommen, könnte sich das bald ändern. Auch sonst ist Klinikplanung längst keine Ländersache mehr.
Veröffentlicht:Berlin. Wann immer es um die Belange der Krankenhausversorgung geht, fahren die Bundesländer schweres Geschütz auf: das Grundgesetz. Danach obliegt die Krankenhausplanung als Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge den Ländern.
Aus diesem Recht, zu bestimmen, wo mit wie viel Betten und mit welchen Fähigkeiten ein Krankenhaus steht, folgt die Pflicht, Neubauten, Modernisierungen und Sanierungen von Kliniken zu finanzieren.
Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine wachsende Lücke. Auf mindestens sechs Milliarden Euro beziffern Gesundheitsökonomen den Investitionsbedarf der Kliniken. Tatsächlich stellen die Länder in ihren Haushalten nur rund 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Tendenz sinkend.
Lagen die von den Ländern getragenen Klinikinvestitionen Anfang der 1990er Jahre im Bundesdurchschnitt noch bei fast neun Prozent ihrer Gesamtkosten, so waren es 2017 nur noch drei Prozent.
Strukturen konserviert
Das Ausgangsniveau in den 1990er Jahren war unter den Ländern breit gespreizt und erklärt sich aus der kompletten Neustrukturierung der Kliniklandschaft in den östlichen Bundesländern, wo die Investitionsquoten – auch dank kräftiger Bundeshilfe – über zehn Prozent lagen. Inzwischen ist etwa Sachsen-Anhalt bei unter zwei Prozent angelangt.
Langjähriges Schlusslicht bei den Klinikinvestitionen ist Nordrhein-Westfalen (NRW): Weniger als vier Prozent investierte das größte Bundesland im Jahr 2000 in die Klinken zwischen Rhein und Weser. Relativ schnell im Vergleich zu anderen Ländern hat sich NRW leicht an die Spitze des unteren Drittels vorgearbeitet – und erreicht jetzt eine Investitionsquote von gut 2,5 Prozent.
Faktisch findet überall eine Harmonisierung auf sinkenden Investitionsniveaus statt: Kein Land investiert aktuell mehr als vier Prozent.
Krankenhausstrukturen konserviert
Die Unterinvestition hat zu einer Konservierung der Krankenhausstrukturen geführt: Trotz einiger Schließungen verfügt Deutschland mit 8,1 Betten je 1000 Einwohner und über 2000 Kliniken über die größten Kapazitäten in der stationären Versorgung in Europa, wo der Durchschnitt bei 5,1 Betten liegt.
Länder wie Dänemark und Schweden kommen sogar mit 2,3 bis 2,6 Betten aus. Bei fast gleicher Einwohnerzahl und Fläche hat NRW mit 401 Häusern dreimal so viel wie die benachbarten Niederlande.
Die Enthaltsamkeit der Länder bei der Investitionsfinanzierung hat Folgen für deren politische Gestaltungskraft, sagt Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Klinikabteilung des GKV-Spitzenverbandes: „Es ist ein Ammenmärchen, dass ein fürsorglicher Landesvater Krankenhäuser überall dort baut, wo die Landeskinder dies benötigen, dass er auf Trägervielfalt achtet und aufpasst, dass die Behandlung überall gut ist.“
De facto, so Leber, entscheidet der jeweilige Klinikträger darüber, ob ein Krankenhaus geschlossen wird oder nicht. Das liege daran, weil eine gut geführte Klinik heute ohne Landesmittel auskomme. Oder der Klinikträger, beispielsweise eine Kommune, bereit und fähig ist, jedes Jahr Verluste aus dem Kommunalhaushalt zu begleichen – nicht zuletzt deshalb, weil es politischer Selbstmord ist, auch ein marodes Krankenhaus zu schließen.
Machtzuwachs für den GBA
In die Gestaltungslücke, die sich die Länder selbst bereitet haben, ist sukzessive der Bundesgesetzgeber durch indirekt wirkende Regulative eingedrungen. Ob Krankenhäuser in der Region fusionieren können, hängt vom Segen des Bundeskartellamtes ab, das auf Wettbewerb und Trägervielfalt achtet.
Schrittweise erweitert wurden die Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), der den Kliniken immer mehr Strukturvorschriften macht. Bereits vor drei Jahren hat der GBA die Bedingungen beschlossen, unter denen eine Klinik einen Sicherstellungszuschlag erhalten kann: Danach lassen sich etwa 100 Kandidaten identifizieren, die einen solchen Zuschlag erhalten können, weil die Einwohnerdichte der Region unter 100 je Quadratkilometer liegt und mehr als 5000 Einwohner davon betroffen wären, bei Schließung dieser Klinik mehr als 30 Autominuten zu einem Alternativstandort zu fahren.
Mindestmengen festgelegt
Eine weitere und auch beliebig erweiterbare Methode ist die Festlegung von Mindestmengen, um Kliniken zu einer Bereinigung ihres Leistungssortiments zu zwingen. Der nächste Schritt sind differenzierte Anforderungen für eine gestufte Notfallversorgung. Nur 69 Prozent aller 1748 Standorte erfüllen zumindest die Voraussetzungen für die Basisnotfallversorgung, aber tatsächlich haben 95 Prozent der Kliniken nachts und an Wochenende Notfälle versorgt.
Das kann bedeuten: Über 500 Standorte sind potenziell in Gefahr, dichtmachen zu müssen, weil ihnen künftig die Notfälle fehlen werden. Mit der Vorgabe von Personaluntergrenzen in pflegeintensiven Leistungsbereichen, etwa der Intensivmedizin, werden den Kliniken weitere Bedingungen gestellt, um in Betrieb bleiben zu können.
Für die Rolle der Bundesländer hat der Kassenmanager Leber nur noch Spott übrig: Ein „kluges Gutachten“ habe sich der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl Josef Laumann zur Krankenhausplanung schreiben lassen. Das sei aber „weitestgehend nutzlos, weil das Land mit neuem planerischen Ansatz wie Qualitätsindikatoren auch nicht mehr Durchsetzungsmöglichkeit hat als bisher.“