Hilfsmittel

"Windel-Gesetz" als Motor für bessere Versorgung?

Ein "Hilfsmittel-Gesetz" soll helfen, die teils desaströsen Zustände bei der Versorgung von Inkontinenz-Patienten abzustellen. Ob dadurch tatsächlich der Preis- durch einen Qualitätswettbewerb ersetzt wird, ist offen.

Von Jana Kötter und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
So sollte es sein: Beratung von Versicherten und aufzahlungsfreie Auswahl zwischen verschiedenen Produkten.

So sollte es sein: Beratung von Versicherten und aufzahlungsfreie Auswahl zwischen verschiedenen Produkten.

© BVMed

BERLIN. Nach Qualitätsmängeln und Lücken in der Versorgung steht der Hilfsmittelsektor vor Veränderungen. So soll das Hilfsmittelverzeichnis mit seinen 33 Produktgruppen regelmäßig überarbeitet und durch Qualitätskriterien im Ausschreibungsprozess künftig eine bessere Patientenversorgung sicherstellt werden. Angekündigt wurde, dass noch im April ein "Hilfsmittel-Gesetz" als Referentenentwurf kommen soll.

Karl-Josef Laumann (CDU), Patientenbeauftragter der Bundesregierung, haben immer wieder Beschwerden erreicht - über Inkontinenzprodukte oder lange Wartezeiten bei Rollstuhlreparaturen, berichtete er bei einer Veranstaltung des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) in Berlin.

 Der Gemeinsame Bundesausschuss sei bei der Überarbeitung der Hilfsmittelliste über Jahre hinweg "nicht besonders fleißig" gewesen, rügte er. Er könnte sich die Verwaltung der Richtlinie auch im Ministerium vorstellen, drohte Laumann.

"Keine restriktive Genehmigung"

Noch im Juli 2015 sah das Bundesgesundheitsministerium (BMG) keinen Grund zur Aufregung: Als Oppositions- und Regierungsfraktionen bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages Handlungsbedarf deutlich machten, glaubte das BMG, die Ausgabenentwicklung bei Hilfsmitteln in der GKV deute "nicht auf eine restriktive Genehmigungspraxis durch die Krankenkassen hin". Ob tatsächlich Handlungsbedarf bestehe, wolle man "prüfen", hieß es.

Unterdessen hatten die SPD- und die Unionsfraktion bereits Mitte vergangenen Jahres in getrennten Positionspapieren Forderungskataloge für Anpassungen in der Hilfsmittelversorgung formuliert. Der Tenor: So wie bisher geht es nicht weiter.

Die SPD warnte, die Ausschreibungspraxis der Kassen bei Inkontinenzprodukten dürfe nicht "die bedarfsgerechte Versorgung gefährden und das Sachleistungsprinzip aushöhlen".

Genau das scheint vielerorts passiert zu sein - Dr. Stefan Weber, Bereichsleiter Vertragspolitik und Versorgungsmanagement der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), kennt die Zahlen: Erhebungen eines Hilfsmittelherstellers zu Folge beträgt die durchschnittliche Aufzahlung bei Versicherten, die Inkontinenzwindeln erhalten, im Schnitt 23 Euro pro Monat. "Andere, GKV-weite Untersuchungen haben sogar ergeben, dass 68 Prozent der Versicherten eine Aufzahlung von im Schnitt 31 Euro pro Monat leisten müssen", berichtet er der "Ärzte Zeitung".

Im Petitionsausschuss des Bundestags gingen seit Jahren teils haarsträubende Berichte über Versorgungsmängel ein, berichtete jüngst die für Heil- und Hilfsmittel zuständige Berichterstatterin in der SPD-Bundestagsfraktion, Martina Stamm-Fibich: Querschnittsgelähmte seien mit nur zwei Windeln pro Tag versorgt worden, einzelne Kassen hätten die Monatspauschale für die Versorgung eines Versicherten auf unter zehn Euro gedrückt. "Das kann nicht funktionieren", so die Abgeordnete.

Jeder dritte Versicherte zahlt auf

Auch bei der SBK betrage die Quote der "Aufzahler" rund 30 Prozent, und das, obwohl seine Kasse eine "überdurchschnittliche" Monatspauschale für die Windeln zahle, berichtet SBK-Manager Weber. Bei den Verträgen seiner Kasse sei sichergestellt, dass man den Versicherten mindestens zwei aufzahlungsfreie Produkte anbieten könne.

Weil die Aufzahlung aber eine private Vereinbarung zwischen dem Versicherten und dem Windelanbieter darstelle, "erfahren wir immer nur durch Befragungen im Nachhinein davon und eine Beratung ist nicht mehr möglich", so Weber.

Wenn es tatsächlich zu einem "Hilfsmittel-Gesetz" kommt, ist dies aus Webers Sicht ein wichtiger Punkt: Er wünscht sich, dass das Beratungsrecht der Krankenkasse gestärkt wird, "um die Versicherten vor allem auch zu Aufzahlungen beraten zu können". Doch nach seiner Darstellung ist es mit höheren Qualitätsstandards nur für Inkontinenzwindeln nicht getan.

Im Hilfsmittelverzeichnis müssten auch die Produktgruppen zu Dekubitushilfen, Stoma-Hilfsmitteln sowie zu ableitender Inkontinenz dringend aktualisiert werden. Damit rennt er bei Martina Stamm-Fibich offene Türen ein. Einige der gelisteten Produkte seien "Jahrzehnte nicht mehr angeschaut worden", kritisierte sie.

Keine Abkehr von Ausschreibungen

Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbands, reagierte auf den politischen Druck. Er könne sich auch Prüfungen "innerhalb gesetzter Fristen" vorstellen, "sofern der Gesetzgeber das will". Kiefer gab zwar "deutlichen Reformbedarf" in der Hilfsmittelversorgung zu, warnte aber vor einer Abkehr von Ausschreibungsverfahren.

Aus Sicht des zuständigen Versorgungsmanagers bei der Siemens Betriebskrankenkasse ist es entscheidend, "die Qualität durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber zu regulieren, nicht aber den Preis", sagte Stefan Weber der "Ärzte Zeitung". Das Instrument der Ausschreibung hält er als solches nicht für falsch -  wohl aber die Vergabepraxis, die sich mancherorts etabliert habe. "Entscheidend ist, dass die Qualität der Produkte im Rahmen einer Ausschreibung berücksichtigt werden kann und sich nicht einfach das billigste Produkt durchsetzt", betonte er.

Das Problem sei bisher gewesen: Krankenkassen durften keine Ausschreibungen machen, die Qualitätsvorgaben enthielten, die Produkte im Hilfsmittelverzeichnis von vornherein ausgeschlossen hätten."Wir räumen gründlich auf", hat Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband mit Blick auf Qualitätsanforderungen bei Windeln versprochen. Ob aber die Bundesregierung tatsächlich Kassen und GBA härter an die Kandare nimmt, ist offen.

Das Eckpunkte-Papier des BMG vom vergangenen Dezember enthält viele Selbstverständlichkeiten. So sollen Kassen etwa die Einhaltung der Vertragsinhalte überwachen, beispielsweise durch Versichertenbefragungen oder die Einrichtung eines Beschwerdemanagements.

Die Siemens BKK will eine solche Befragung in Kürze starten, um zu erfahren, "ob Versicherte mit der Versorgung zufrieden sind", sagt Bereichsleiter Weber, fügt aber hinzu: "Mir ist nicht bekannt, ob das ein Prozess-Standard bei allen Krankenkassen ist."

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