Überlastete Klinik-Ambulanzen

Zur Not müssen Zuzahlungen her

Die Ambulanzen der Kliniken klagen über wachsende und unnötige Belastung. Warum das so ist, darüber gibt es bislang fast nur Vermutungen. Es ist höchste Zeit für Ursachenforschung und eine Steuerung der Patienten - notfalls über den Geldbeutel.

Von Martina Merten Veröffentlicht:
Immer stärker von Patienten beansprucht: die Notfallambulanzen der Krankenhäuser.

Immer stärker von Patienten beansprucht: die Notfallambulanzen der Krankenhäuser.

© Waltraud Grubitzsch / dpa

Die Debatte zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) darüber, wer Schuld an der starken Inanspruchnahme der Notfallambulanzen in Krankenhäusern ist, hat Aspekte mit Unterhaltungswert.

 Die DKG drückt auf die Tränendrüsen, indem sie über starke Belastung und absolute Unterfinanzierung der Krankenhäuser durch die steigende Anzahl der Patienten in den Notaufnahmen spricht.

Die KVen hätten bei der Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung komplett versagt, so der Vorwurf von DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum vor einigen Tagen.

Keiner fragt nach dem Grund

Die KVen kontern postwendend, die Klagen der Kliniken zeigten deren Überforderung mit der Öffnung für ambulante Leistungen, wie sie mit dem Versorgungsstärkungs-Gesetz geplant ist.

Zudem sei der Bereitschaftsdienst über die KVen hervorragend aufgestellt, vor allem seit der Einführung der bundesweiten Bereitschaftsdienstnummer 116.117.

Beide Seiten vergessen über die üblichen Schuldzuweisungen und Verteidigungen jedoch, nach dem eigentlich Grund dafür zu fragen, warum Patienten im Notfall einen ausgeprägten Hang zum Gang ins Krankenhaus haben.

Denn das lässt sich nicht wegreden: Allein von 2012 auf 2013 sind die ambulanten Notfallbehandlungen von Kassenpatienten um durchschnittlich 9,2 Prozent gestiegen.

Rund 30 Prozent der ambulanten Notfälle im Krankenhaus ließen sich auch im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst behandeln, heißt es in einem aktuellen DKG-Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus.

Selbst die fachspezifischen Notfallbehandlungen - immerhin rund ein Fünftel der dokumentierten Fälle - könnten Vertragsärzte übernehmen, heißt es.

Fast barrierefreier Zugang zur Klinik

Und dieser vertragsärztliche Bereitschaftsdienst soll gut aufgestellt sein, behaupten die KVen. Es gibt in vielen Regionen spezielle Bereitschaftsdienstpraxen, etliche davon an Krankenhäusern.

Darüber hinaus haben die KVen einen fahrenden ärztlichen Bereitschaftsdienst organisiert, der nachts oder am Wochenende den Hausbesuch von Patienten sicherstellt. Alle Behandlungsgesuche von Patienten werden über die Rufnummer 116.117 abgewickelt.

Warum sich Patienten trotzdem häufig für die Klinik entscheiden, das muss herausgefunden werden - zum Beispiel über Patientenbefragungen über die KVen oder die Notfallambulanzen in den Krankenhäusern.

Wissen Patienten, die sich für den Gang in die Klinik entscheiden, dass es Alternativen hierzu gibt? Ist ihnen die bundesweite Bereitschaftsdienstnotrufnummer wirklich so geläufig, wie die KBV dies gern hätte?

Welche Rolle spielen Medien, dass , wie der Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Dominik von Stillfried, vermutet, vor allem junge Menschen die Klinikambulanz präferieren.

Auch, weil es dafür keine Barrieren gibt. Und weil vielleicht unterstellt wird, dass das Krankenhaus mit seiner Expertise und Ausrüstung die bessere oder weitergehende medizinische Leistung bieten kann.

Der Vorschlag der KV-Berlin, die Notaufnahmen an Krankenhäusern sollten Patienten bitten, sich wochentags und mit nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an ihre Praxis zu wenden, ist keine brauchbare Lösung.

Welcher Patient, der von sich oder einem Angehörigen glaubt, ein Notfall liege vor, macht auf dem Absatz kehrt, wenn eine Klinik ihn nach dessen Ankunft über Alternativen aufklärt?

Notfallpatienten sind doch in den meisten Fällen froh, endlich am Krankenhaus angekommen zu sein und wollen nicht postwendend wieder woanders hingeschickt werden.

Steuerung durch Zuzahlungen?

Eine andere Option wäre eine Steuerung der Patienten über den Geldbeutel, quasi die Wiederbelebung einer Variante der Praxisgebühr.

Der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst stünde dabei ohne "Eintrittsgeld" zur Verfügung, die Krankenhausambulanz hingegen nur mit einer Zuzahlung.

ZI-Chef von Stillfried schlägt vor, diese Klinik-Gebühr nur dann zu erheben, wenn der Patient genauso gut auch vom ärztlichen Bereitschaftsdienst hätte versorgt werden können.

Theoretisch wäre das ideal. Doch wer soll das in der Praxis entscheiden? Etwa der diensthabende Arzt in der Klinikambulanz? Da würde die Sozialrechtsbürokratie eine neue Pirouette drehen.

Das Problem liegt auf dem Tisch. Aber seine Durchdringung und Analyse sind noch unzulänglich. Und dementsprechend sind vermeintlich einfach erscheinende Lösungsvorschläge eher trügerisch.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neurologische Entwicklungsstörungen

Epilepsie in der Schwangerschaft: Start mit Lamotrigin empfohlen

Lesetipps
Ein Mann hat Kopfweh und fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen.

© Damir Khabirov / stock.adobe.com

Studie der Unimedizin Greifswald

Neurologin: Bei Post-COVID-Kopfschmerzen antiinflammatorisch behandeln

Der gelbe Impfausweis

© © mpix-foto / stock.adobe.com

Digitaler Impfnachweis

eImpfpass: Warum das gelbe Heft noch nicht ausgedient hat

Ein Aquarell des Bundestags

© undrey / stock.adobe.com

Wochenkolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zum Ampel-Aus: Eigenlob und davon in rauen Mengen