Organspende
Zuspruch steigt – Spenderzahlen sinken
Die Zahl der Organspender hat in Deutschland einen neuen Tiefpunkt erreicht. Hoffnung macht, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung offenbar steigt. Ärzte und Politiker fordern die Widerspruchslösung.
Veröffentlicht:BERLIN/SAARBRÜCKEN.. Über 10.000 kranke Menschen warten in Deutschland nach Angaben der Vermittlungsstelle Eurotransplant auf ein Spenderorgan.
"Täglich sterben statistisch gesehen drei von ihnen, weil für sie nicht rechtzeitig ein passendes Organ verfügbar ist", berichtet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in Frankfurt/Main.
Das Spenderorgan, das am häufigsten benötigt wird, ist die Niere. Etwa zehn Prozent aller Dialysepatienten, also rund 8.000 Patienten, stehen nach DSO-Angaben auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Vor zehn Jahren wurden über 2.900 Nierentransplantationen durchgeführt, im Jahr 2017 waren es nur noch 1.921 (siehe nachfolgende Grafik). Die durchschnittliche Wartezeit beträgt sechs Jahre.
In Deutschland hat 2017 die Zahl der Organspender einen neuen Tiefpunkt erreicht. Laut DSO gab es nur noch 797 Spender – und somit nochmal 60 weniger als im Vorjahr. Das war der niedrigste Stand seit 20 Jahren.
BZgA: Immer mehr Menschen besitzen Organspendeausweis
Hierzulande gibt es jetzt weniger als zehn Spender pro eine Million Einwohner. Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der DSO, spricht von "einer dramatischen Entwicklung".
Dennoch zeigen die Zahlen der DSO auch, dass die Spendebereitschaft im ersten Quartal 2018 wieder gestiegen ist – etwa bei Nieren auf 436 (im Vergleich zum ersten Quartal 2017: 352; 2016: 361), bei Lebern auf 214 (2017: 166; 2016: 178) oder bei Lungen auf 92 (2017: 71 und 2016: 60).
Hoffnung macht außerdem, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung, Organe und Gewebe zu spenden, offenbar steigt. Eine bundesweite Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 4.001 Bundesbürgern im Alter von 14 bis 75 Jahren ergab, dass 84 Prozent dem Thema Organ- und Gewebespende positiv gegenüberstehen. So hoch war der Zuspruch nach Angaben der BZgA noch nie gewesen.
Auch besitzen der Umfrage zufolge immer mehr Bundesbürger einen Organspendeausweis: 2012 waren es noch 22 Prozent der Befragten, sechs Jahre später sind es 36 Prozent.
Die meisten von ihnen (72 Prozent) stimmten einer Organ- und Gewebespende nach dem Tod zu, 14 Prozent widersprachen ihr. 9 Prozent übertrugen die Entscheidung auf eine andere Person und 5 Prozent machten eine andere Angabe, wie die Bundeszentrale weiter ausführte.
Vielfältig sind die Motive: Weil sie anderen Menschen helfen wollen, sagten 73 Prozent Ja zur Organspende. Gründe für die Ablehnung waren, dass die Befragten glaubten, als Spender nicht geeignet zu sein (24 Prozent) oder sie Angst vor Missbrauch bzw. mangelndes Vertrauen aufgrund negativer Berichterstattung haben (22 Prozent).
Widerspruchslösung gefordert
Europaweit führend bei den Organ- und Gewebespenden ist Spanien mit 46,9 Spendern pro eine Million Einwohner im Jahr. Dort gilt die sogenannte Widerspruchslösung: Menschen müssen es explizit dokumentieren, wenn sie gegen eine Organentnahme nach ihrem Tod sind, sonst werden sie automatisch zum Spender. So ist es auch in Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg, Österreich und Frankreich geregelt.
Das jüngste Land in der Reihe ist die Niederlande. Hier wurde eine solche Regelung im Februar von der ersten Kammer des Parlaments angenommen – wenn auch nach langer Debatte und nur mit knapper Mehrheit.
Auch in Deutschland werden die Stimmen immer lauter, die auch eine Widerspruchslösung hierzulande fordern. "Die Niederländer haben reagiert, und zwar lange bevor die Situation so prekär wurde wie bei uns", sagt der Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Christian Hugo: "Ich wünsche mir ähnlich mutige Politiker im Bundestag wie in Holland."
Viele Ärzte sind auf seiner Seite. Der Deutsche Ärztetag in Erfurt hat sich Anfang Mai klar für die Widerspruchslösung ausgesprochen. "Aus medizinischer Sicht, vor allem aber aus Sicht der vielen schwerkranken Patienten auf der Warteliste wäre eine solche Regelung der Idealfall", sagte Professor Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).
"Man sollte von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen können, dass sie sich nach der gesetzlich vorgeschriebenen Aufklärung durch die Krankenkassen mit der Problematik auseinandersetzen und im Falle einer Ablehnung ihr Nein zur Organspende formulieren."
Vorher müssten "mit großer Sensibilität" ethische, religiöse und rechtliche Fragen diskutiert werden. Man dürfe nicht riskieren, dass die Menschen weiter verunsichert werden und sich am Ende komplett verschließen.
Lauterbach: Misstrauen gegen Staat besonders stark
Erklärter Befürworter einer Widerspruchslösung ist auch der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach. "Für mich ist das ganz klar die Lösung, die ich bevorzuge - als Politiker und als Arzt", sagte er der dpa. "Wir könnten damit so vielen Menschen den Tod ersparen oder ein besseres Leben ermöglichen."
Politisch "sollten wir uns in diese Richtung bewegen", gesellschaftlich "sollten wir diese Diskussion führen".
Dass sich Deutschland schwerer tut mit einer Widerspruchslösung als seine Nachbarländer, liegt seiner Ansicht nach daran, "dass in Deutschland das Misstrauen gegen den Staat und seine Institutionen besonders stark ist". Ob in der laufenden Legislaturperiode eine Änderung realistisch ist, ist fraglich. "Ich persönlich werde alles, was ich kann, dafür tun", verspricht Lauterbach.
Kritisch steht einer Widerspruchregelung Rolf Henke gegenüber, der Vorsitzende des Marburger Bunds. Das Transplantationswesen lebe vom Vertrauen der Menschen – und Henke glaubt nicht, dass das Vertrauen durch eine Widerspruchslösung gestärkt wird: "Es ist eher das Gegenteil zu befürchten."
Es habe wenig Sinn, "eine große Kontroverse anzuzetteln": "Man muss mit den Leuten reden, sie überzeugen und die Organisation der Organtransplantation in den Kliniken verbessern."
Spahn ruft Bürger, sich mit Thema zu beschäftigen
Seit November 2012 gilt in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung. Die Krankenkassen müssen ihre Mitglieder alle zwei Jahre anschreiben und über die Organ- und Gewebespende informieren. Das kostet nach Schätzung des GKV-Spitzenverbands rund 60 Millionen Euro.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ruft die Bundesbürger auf, sich mit diesem Thema beschäftigen: "Sich mit der Organspende auseinanderzusetzen, muss für uns alle zur Selbstverständlichkeit werden."
Dass die Zahl der gespendeten Organe weiter zurückging, ist für die Transplantationsgesellschaft ein Beweis, "dass diese Lösung nicht greift". Um mehr Menschen zu sensibilisieren, gibt es einen jährlichen Tag der Organspende – diesmal am 2. Juni mit einer zentralen Veranstaltung in Saarbrücken. (dpa/ths)