Paragraf 219a StGB

Abruptio: „Fake News erlaubt, Information verboten“

Die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel gibt nicht auf: Gegen den neuen Abtreibungs-Paragrafen 219a StGB, der weiterhin ärztliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, will sie nun vors Verfassungsgericht ziehen.

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Kristina Hänel, Gießener Ärztin (hier bei einer Verhandlung, wo sie selbst als Klägerin auftrat), möchte fachlich und frei zum Thema Abtreibung informieren dürfen.

Kristina Hänel, Gießener Ärztin (hier bei einer Verhandlung, wo sie selbst als Klägerin auftrat), möchte fachlich und frei zum Thema Abtreibung informieren dürfen.

© Axel Heimken/dpa

Frankfurt/Main. Die Verurteilung der Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel wegen „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ zu einer Geldstrafe von 2500 Euro ist, wie bereits kurz berichtet, nun rechtskräftig. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mitteilte, hat es ihre Revision verworfen. Auf ihrer Homepage gebe sie „ausführliche Informationen über das ‚Wie‘“ eines Schwangerschaftsabbruchs. Dies sei laut Gesetz strafbar. Hänel will nun das Bundesverfassungsgericht anrufen.

Hänel informiert auf ihrer 2001 eingerichteten Internetseite bis heute darüber, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Zudem bietet sie zumindest seit 2014 und bis heute eine PDF-Datei mit umfangreichen Informationen über die rechtlichen Voraussetzungen und die verschiedenen Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs zum Download an.

Geldstrafe nach Reform gemindert

Laut Paragraf 219a Strafgesetzbuch in seiner bis März 2019 gültigen Fassung machte sich jedoch bereits strafbar, wer Schwangerschaftsabbrüche „öffentlich“ und zudem „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ anbietet. Das Amtsgericht Gießen hatte Hänel daher zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt, insgesamt 6000 Euro. Dies hatte das Landgericht bestätigt.

Nach dem Ende März 2019 in Kraft getretenen „Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ gilt die Strafandrohung allerdings nicht, wenn Ärzte oder anerkannte Beratungsstellen darüber informieren, dass sie selbst oder welche anderen Ärzte Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Im ersten Durchlauf hatte das OLG Frankfurt das Gießener Urteil daher aufgehoben und das Landgericht zu einer erneuten Prüfung nach dem geänderten Recht aufgefordert. Daraufhin verurteilte das Landgericht Hänel zu einer Geldstrafe von nun noch 25 Tagessätzen zu je 100 Euro, insgesamt also 2500 Euro.

Mit seinem neuen Beschluss, der der „Ärzte Zeitung“ im Volltext vorliegt, hat das OLG diese abgesenkte Strafe nun bestätigt.

Ausnahme bleibt Ausnahme

Auf die 2019 geschaffene Ausnahme könne sich Hänel nicht berufen. Denn auf ihrer Homepage habe sie nicht nur einfach darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Die Homepage gebe auch „ausführliche Informationen und Beschreibungen über das ‚Wie‘ der angewandten Methoden“.

Dies sei von der Neuregelung nicht gedeckt. Mit der Ausnahme habe der Gesetzgeber vielmehr indirekt klargestellt, dass er darüber hinausgehende Informationen unter Strafe stellen wollte. Andernfalls ergebe eine Ausnahme keinen Sinn. Früheren Argumenten für eine liberalere Auslegung des Strafparagrafen 219a sei damit „der Boden entzogen“.

Vor den Fachgerichten ist dieser Beschluss nicht mehr anfechtbar. „Nun werden wir Verfassungsbeschwerde einlegen“, heißt es hierzu in einer Mitteilung Hänels. „Eine Gesetzgebung, die ärztliche Aufklärung und Information verbietet, aber ‚Fake News‘ zum Thema ungestraft zulässt, lässt jegliche Rationalität vermissen. Sie trifft uns angeklagte und verurteilte Ärzt/innen direkt ins Mark unseres Berufsverständnisses“. (mwo)

Oberlandesgericht Frankfurt/M.,

Az.: 1 Ss 96/20

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 21.01.202111:13 Uhr

§ 219a ohne Ende?

Ärzte/-innen und Kliniken dürfen nur schlicht informieren, dass und nicht wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weitere Infos, wie bei der mutigen Kollegin Kristina Hänel, werden als "Werbung" strafrechtlich verfolgt. Persönlich bin ich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe an die Untergerichte und an die verantwortliche legislative Gesetzgebung schallende juristische Ohrfeigen verteilen wird.

Denn zugleich werden im selben "§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" alle weitergehende Informationen exklusiv bei Behörden, Beratungsstellen und Ärztekammern exkulpiert, als Informationen bzw. nicht als Werbung gewertet. Zusätzlich werden zentrale Listen mit Ärzten und Krankenhäusern geführt, an die sich ungewollt Schwangere wenden können. U.a. damit aggressive "Lebensschützer" und potenzielle Attentäter diese nicht umständlich einzeln heraussuchen müssen?

§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft beinhaltet schon im Titel ein W e r b e v e r b o t und k e i n e Informationssperre. Denn zugleich gilt laut BVerfG der Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung. Außerdem werden, juristisch verquer, gleiche Tatbestände strafrechtlich unterschiedlich bewertet:
"(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.
(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird."

Ärztliche und beratende Hinweise für Ratsuchende auf Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen sind keine semantische Spielwiese für Leute, die bestehende Gesetzte nicht lesen und verstehen wollen.

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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