Gastbeitrag

Als Arzt fachfremd arbeiten: Was ist erlaubt?

Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich klar gestellt: Ärzte dürfen fachfremd arbeiten. Doch die neuen Möglichkeiten haben ihre Grenzen. Dabei liegen Stolpersteine nicht nur im Leistungsumfang.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Skalpell, bitte! Ärzte müssen sich bei Privatleistungen nicht an die eigenen Gebietsgrenzen halten.

Skalpell, bitte! Ärzte müssen sich bei Privatleistungen nicht an die eigenen Gebietsgrenzen halten.

© Franz Pfluegl / fotolia.com

Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang Februar entschieden, dass im Bereich der privatärztlichen und Selbstzahlerleistungen Ärzte auch außerhalb ihres Fachgebietes tätig werden dürfen.

Hiermit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerG) seinen fast 40 Jahre alten "Facharztbeschluss" in beachtenswerter Weise weiterentwickelt und übermäßig restriktiven Tendenzen der Berufsordnungen eine Absage erteilt (Az.: 1 BvR 2383/10). Wer die nunmehr verbleibenden Grenzen beachtet, kann von der "neuen Freiheit" profitieren.

Fachfremdes Arbeiten war meist auf Notfälle begrenzt

Seit dem so genannten "Facharztbeschluss" von 1972 wurde von den Ärztekammern die Auffassung vertreten, jeder Arzt, der eine weiterbildungsrechtliche Gebietsbezeichnung führt, müsse sich bei seiner Behandlungstätigkeit auf dieses Gebiet beschränken.

Ausnahmen seien nur in der Notfallbehandlung und dann zulässig, wenn der Patient aufgrund eines gewachsenen Vertrauensverhältnisses ausdrücklich eine fachfremde Behandlung wünsche.

Unter Berufung auf diese Rechtsprechung haben die ärztlichen Berufsgerichte in der Vergangenheit etwa einem Gynäkologen die Schmerztherapie bei einem Mann untersagt. Einem Kinderarzt wurde die Behandlung Erwachsener verboten, ein Urologe durfte keine Leukämie-Patienten behandeln.

Auch im Bereich kosmetischer Operationen schritten die Ärztekammern ein, so sollte ein Gynäkologe nicht befugt sein, Operationen oder Unterspritzungen im Gesicht vorzunehmen.

Vier Regeln sind jetzt zu beachten

Das BVerG hat nun klargestellt, dass fachgebietsfremde Leistungen berufsrechtlich dann zulässig sind, wenn sie von dem Arzt nur in geringfügigem Umfang erbracht werden. Die Obergrenze des geringfügigen Umfanges wurde nicht abschließend definiert, das Gericht hat festgestellt, dass ein Leistungsumfang von weniger als fünf Prozent eindeutig geringfügig sei.

Als Bezugsgröße hat das Bundesverfassungsgericht im entschiedenen Fall die Gesamtzahl der von dem Arzt durchgeführten Operationen angesetzt. Diese Rechtsprechung lässt sich auf die Gesamtzahl der behandelten Patienten oder auch auf die Gesamtzahl der Behandlungsfälle (im GOÄ-Bereich also der Patienten pro Monat) übertragen.

Jeder Arzt hat jedoch weiterhin drei Aspekte zu beachten: Er muss die für ihn fachfremden Leistungen selbstverständlich beherrschen. Maßstab ist hierbei der Facharztstandard des fremden Gebietes.

Bereits 1981 hat der Bundesgerichtshof (BGH) nämlich in einer arzthaftungsrechtlichen Entscheidung festgestellt, dass sich ein Arzt, der fachfremde Leistungen erbringt, nicht dadurch entlasten kann, dass er die fachspezifischen Veröffentlichungen und damit den Facharztstandard des fremden Gebietes nicht kannte.

Damals hatte ein Urologe ein Tuberkulostatikum verordnet, wobei in den pneumologischen Fachkreisen die Gefahr einer Schädigung des Sehnervs bekannt war, nicht aber dem Urologen. Der BGH führt hierzu - lapidar und richtig - aus, dass von jedem Arzt, der sich mit einer fachfremden Behandlung befasst, verlangt werden kann, dass er den hierbei zu beachtenden Standard kennt oder sich speziell darüber informiert.

Darüber hinaus sollte der Arzt seine Haftpflichtversicherung über die fachfremden Leistungen informieren. Er muss sich bestätigen lassen, dass für diese Behandlungen Versicherungsschutz besteht und es sich nicht um ein sogenanntes neues Risiko, welches vom Versicherungsschutz nicht umfasst wäre, handelt.

Schließlich muss weiterhin beachtet werden, dass die fachfremden Leistungen nur in geringfügigem Umfang erbracht werden. Hierbei kann eine Orientierung an der "5-Prozent-Grenze" des Bundesverfassungsgerichtes erfolgen.

Konsequenterweise dürfen die fachfremden Behandlungen dann aber auch nicht als Tätigkeitsschwerpunkt beworben werden. Jedem Arzt ist bekanntlich die werbende Außendarstellung mit Tätigkeitsschwerpunkten erlaubt, der Widerspruch zwischen der allein zulässigen geringfügigen fachfremden Tätigkeit und einem Tätigkeitsschwerpunkt wäre aber nicht aufzulösen.

Mit "Werbung" müssen Ärzte vorsichtig sein

Es ist zu erwarten, dass sich nach der Entscheidung des BVerG die berufsrechtlichen Probleme zukünftig eher in dem Bereich der Außendarstellung und Kommunikation fachfremder Leistungen verlagern. Hier ist eine umsichtige und problembewusste Darstellung des eigenen Leistungsspektrums notwendig, in vielen Fällen aber auch möglich.

Erneut hat das BVerG die ärztliche Berufsausübung liberalisiert. Dabei vertraut das Gericht der Ärzteschaft, dass sie hoch qualifizierte Leistungen nicht nur im eigenen Gebiet, sondern auch bei speziellen - und deshalb im Umfang begrenzten - fachfremden Behandlungen gewährleisten kann.

Betrachtet man frühere Liberalisierungen durch das Bundesverfassungsgericht, so spricht nichts dafür, dass die Ärzteschaft dieses Vertrauen enttäuschen wird.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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