Plädoyer im Transplantationsprozess

"Angeklagter spielt Gott"

Heiße Phase im Göttinger Transplantationsprozess: Die Staatsanwaltschaft fordert für den angeklagten Chirurgen eine mehrjährige Haftstrafe sowie lebenslanges Berufsverbot. In ihrem Plädoyer erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den 47-Jährigen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Journalisten und Zuschauer am Montag im Gerichtssaal im Göttinger Landgericht.

Journalisten und Zuschauer am Montag im Gerichtssaal im Göttinger Landgericht.

© Swen Pförtner/dpa

GÖTTINGEN. Im Prozess um den Transplantationsskandal am Göttinger Universitätsklinikum hat die Staatsanwaltschaft am Montag eine Haftstrafe von acht Jahren für den angeklagten Chirurgen gefordert.

Der 47-Jährige habe sich in elf Fällen des versuchten Totschlages sowie in drei Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht, sagte Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff in ihrem mehrstündigen Plädoyer vor dem Landgericht Göttingen.

Sie forderte außerdem, den Haftbefehl wieder in Kraft zu setzen sowie ein lebenslanges Berufsverbot als Transplantationschirurg zu verhängen. Der Angeklagte sei für die systematischen Manipulationen von Patientendaten in der Göttinger Universitätsmedizin verantwortlich, sagte Wolff.

Er habe Patienten fehlerhaft aufgeklärt, um ihre Einwilligung zu einer Transplantation zu erhalten. Da er keinerlei Unrechtsbewusstsein zeige, stelle er bei einer zukünftigen Tätigkeit eine Gefahr für Leib und Leben von Patienten dar.

Die Oberstaatsanwältin erhob schwere Vorwürfe gegen den früheren Leiter der Transplantationschirurgie. Dieser habe drei Patienten eine Leber eingepflanzt, bei denen Gutachtern zufolge keine medizinische Indikation vorgelegen habe. Alle drei waren später an Komplikationen verstorben.

Die Patienten hatten eine Einwilligungserklärung unterschrieben. Diese Einwilligung sei aber unwirksam, sagte Wolff. Der Chirurg habe sie über ihren wahren Gesundheitszustand belogen, nicht über Behandlungsalternativen aufgeklärt und Risiken bewusst verharmlost oder gar nicht erwähnt.

Sein Ziel sei die Transplantation gewesen: "Der Patientenwille wurde hier manipuliert."

Vorwurf: Chancengleichheit zerstört

Außerdem habe der 47-Jährige bewusst und systematisch bei der Meldung von Patientendaten an die zentrale Organverteilungsstelle Eurotransplant manipuliert. Damit habe er billigend in Kauf genommen, dass andere Patienten, die wegen der Falschangaben auf der Warteliste nach hinten rutschten, der Gefahr des Todes ausgesetzt wurden.

Der Chirurg habe gewusst, dass seine Patienten normalerweise kein Organangebot erhalten hätten. Er habe sich über die von allen Transplantationszentren akzeptierten Richtlinien der Bundesärztekammer hinweggesetzt und die Chancengleichheit für diejenigen zerstört, die sich an das Regelwerk hielten.

"Er selektiert, er spielt Gott. Dafür gibt es keine Rechtfertigung im Strafgesetzbuch", sagte die Oberstaatsanwältin. Da es zu wenig Spenderorgane gebe, dürfe die Entscheidung, wer ein Organ bekomme, nicht dem einzelnen Arzt überlassen werden.

Der angeklagte Chirurg war von 2008 bis 2011 am Göttinger Klinikum tätig gewesen. Nur er komme als Urheber der Falschmeldungen in Betracht, sagte Wolff.

Bei zehn Patienten sei fälschlicherweise angekreuzt worden, dass diese binnen einer Woche zweimal dialysiert worden seien. Dadurch hätten diese einen deutlich höheren MELD-Score erhalten. Dieses Punktesystem gibt den Schweregrad einer Lebererkrankung und damit die Dringlichkeit einer Transplantation an.

Bei einem Patienten habe eine Kontraindikation wegen einer Tumorerkrankung bestanden. In fünf Fällen hätten die Patienten die vorgeschriebene Alkoholkarenzzeit von sechs Monaten nicht eingehalten.

Oberstaatsanwältin sieht mehrere Regelverstöße

Nach Ansicht der Oberstaatsanwältin ist durch diese Regelverstöße auch die Bereitschaft zur Organspende gesunken: "Wer spendet denn noch ein Organ, wenn Patienten von der Theke auf den Tisch kommen und transplantiert werden?"

Als besonders krasses Beispiel nannte sie den Fall eines Alkoholkranken, der nach dem Konsum von mehr als einer halben Flasche Rum mit akutem Leberversagen in das Krankenhaus in Einbeck (Kreis Northeim) eingeliefert wurde.

Noch bevor er in die Universitätsmedizin Göttingen verlegt wurde, habe man ihn dort bei Eurotransplant gemeldet und angegeben, dass der Patient zweimal dialysiert worden sei.

Zu dem Zeitpunkt habe noch niemand in Göttingen einen Blick auf den Patienten geworfen gehabt, sagte Wolff. Tatsächlich sei dieser nie dialysiert worden.

Als der Patient später im Uni-Klinikum wieder aufwachte und erfuhr, dass er eine neue Leber bekommen hatte, fiel er aus allen Wolken. Er habe gedacht, er sei entführt worden, sagte er vor Gericht.

Als Tatmotive nannte die Staatsanwältin unter anderem Ehrgeiz und starkes Geltungsbedürfnis. Außerdem habe der Chirurg finanzielle Vorteile gehabt, da sein Arbeitsvertrag auf seine Idee hin eine Bonus-Regelung enthalten habe, die an die Transplantationszahlen geknüpft war.

Die Verteidigung des Chirurgen, der alle Vorwürfe bestreitet, will am Mittwoch plädieren. Am 6. Mai will die Schwurgerichtskammer ihr Urteil verkünden.

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