BGH-Urteil

Arzt haftet nicht für Depression

Übernimmt ein Arzt das Infogespräch mit Angehörigen über eine ärztliche Diagnose, kann er anschließend nicht für psychische Folgen bei den Betroffenen haftbar gemacht werden.

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KARLSRUHE. Die Information über eine ärztliche Diagnose kann Betroffene und ihre Angehörigen psychisch schwer belasten. Für eine so entstandene Depression einer Mutter muss der Arzt aber nicht haften, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschied.

Im konkreten Fall war Anfang 2011 bei einem Vater Chorea Huntington diagnostiziert worden. Der Mann war geschieden, das Sorgerecht für den damals 16-jährigen Sohn und die zwölfjährige Tochter übten beide Eltern gemeinsam aus. Allerdings war der Mutter das alleinige "Gesundheitsfürsorgerecht" zugewiesen.

Der Mann befreite seinen Arzt von der Schweigepflicht, damit er die Mutter über die Diagnose der Erbkrankheit informieren kann. Nach eigenen Angaben auf Wunsch seines Patienten lud der Arzt die Frau zum Gespräch ein.

Dabei informierte er sie über die Erkrankung des Ex-Mannes und darüber, dass die gemeinsamen Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent die Krankheit geerbt haben könnten.

Die Kindsmutter reagierte auf diese Informationen mit einer Depression. Seit April 2011 ist sie dauerhaft krank und nicht in der Lage, zu arbeiten. Eine Klärung der Erbbelastung ihrer Kinder konnte sie nicht herbeiführen. Wegen des gesetzlichen Verbots von Gentests an Minderjährigen fand sie keine Einrichtung, die zu entsprechenden Untersuchungen bereit war.

Arzt sollte Schmerzensgeld zahlen

Mit ihrer Klage verlangt die Mutter ein Schmerzensgeld von mindestens 15.000 Euro sowie den Ersatz aller bisherigen und künftigen Schäden. Der Arzt habe ihr nicht einfach von der Erkrankung ihres Ex-Mannes erzählen dürfen. Zumindest habe er damit bis zur Volljährigkeit der Kinder warten müssen.

Der BGH wies die Klage nun ab. Die Erkrankung der Mutter sei dem Arzt "haftungsrechtlich nicht zuzurechnen". Die gesetzliche Schadenersatzpflicht für eine fahrlässige oder vorsätzliche "Gesundheitsverletzung" greife hier nicht.

"Dass eine schwerwiegende - möglicherweise auch für die Gesundheit der gemeinsamen Kinder relevante - Krankheit eines Elternteils erkannt und dem anderen Elternteil bekannt wird, ist ein Schicksal, das Eltern jederzeit widerfahren kann", heißt es in dem Urteil. Dies gehöre "zu den allgemeinen Lebensrisiken".

Die Schadenersatzpflicht im Falle einer Gesundheitsverletzung sei zum Schutz vor solchen Gefahren nicht gedacht.Zudem sei davon auszugehen, dass die Ex-Frau und die gemeinsamen Kinder ohnehin von der Krankheit erfahren hätten. Denn der Mann sei offen mit seiner Erkrankung umgegangen und habe bereits erste deutliche Symptome gezeigt.

Auf ein "Recht auf Nichtwissen" könne sich die Mutter nicht berufen. Dies umfasse lediglich ein "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung". Hier sei es aber um die Kinder gegangen.

Der BGH konnte daher offen lassen, ob das "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung" bereits durch Hinweise auf mögliche Erbkrankheiten verletzt werden kann. (mwo)

Urteil des Bundesgerichtshofes, Az.: VI ZR 381/13

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 27.06.201415:02 Uhr

"Das war die doofe Tischkante, die mir die Beule gemacht hat!" ...

haben mir meine Kinder und die kleinen Patienten immer erzählt, wenn sich ihnen ein Hindernis "aggressiv" und „aktiv“ in den Weg gestellt hatte.

Die Klage, nach der eine "informationsgeschädigte" Mutter ein Schmerzensgeld von mindestens 15.000 Euro sowie den Ersatz aller bisherigen und künftigen Schäden für eine medizinisch vollkommen korrekte Risikoaufklärung verlangen wollte, ist absolut unsinnig. Dann könnten sich Kaffeekränzchen-Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander verklagen, weil sie sich gegenseitig von zu schlimmen Krankheiten erzählt hätten.

Wie eine derartig abwegig unlogische, wesentliche Kausalitätsprinzipien verletzende Zivilklage auf juristischem Wege überhaupt zugelassen werden konnte, so dass zu diesen infantilen Schuldzuweisungen ein Urteil des Bundesgerichtshofes unter Az.: VI ZR 381/13 ergehen musste, erschließt sich m. E. nur unter konsequenter Ausschaltung der Großhirnrinde.

Jeder Unfallchirurg könnte demnach auch juristisch belangt werden, wenn er beim schweren Polytrauma auf die unvermeidliche Lebensgefahr bei dem an sich lebensrettenden Eingriff hinweisen würde.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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