Infektionsschutzgesetz

BSG-Präsident: Länder können Corona-Impfpflicht nicht einfach aussetzen

Nach Söders Ankündigung, die einrichtungsbezogene Impfpflicht vorerst aussetzen zu wollen, äußeren Rechtsexperten ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Das Gesetz sei „glasklar formuliert“.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Sonderweg bei der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impfpflicht für Bayern? Rechtsexperten haben Zweifel, dass das rechtskonform wäre.

Sonderweg bei der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impfpflicht für Bayern? Rechtsexperten haben Zweifel, dass das rechtskonform wäre.

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Kassel. Nach den Äußerungen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Bayern kommt scharfe Kritik von Rechtsexperten. Nach Überzeugung des Präsidenten des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel, Rainer Schlegel, lässt das Infektionsschutzgesetz ein „Aussetzen“ der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht zu.

Das Tätigkeitsverbot für Arbeitnehmer, die weder geimpft noch genesen sind, sei dort „glasklar formuliert“, sagte Schlegel bei der Online-Pressekonferenz des BSG am Dienstag. Der BSG-Präsident sprach sich zudem dafür aus, Ungeimpfte mit einem schweren Erkrankungsverlauf „maßvoll“ an den Behandlungskosten zu beteiligen.

Einrichtungsbezogene Impfpflicht aussetzbar?

Söder hatte angekündigt, Bayern werde die im Infektionsschutzgesetz festgehaltene Impfpflicht für Beschäftigte in bestimmten Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen vorerst nicht umsetzen. Hintergrund ist vermutlich eine Klausel der neuen Regelung, wonach die Gesundheitsämter bei zweifelhaften Nachweisen ein „Betretungsverbot“ für die jeweilige Einrichtung aussprechen können. Auch das Bundesgesundheitsministerium liest dies offenbar so, dass in jedem Einzelfall ein „Betretungsverbot“ und eine entsprechende Ermessensentscheidung des Gesundheitsamts erforderlich ist.

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„Das glaube ich nicht“, sagte dazu BSG-Präsident Schlegel. Das Gesetz sage ganz klar: „Wer weder geimpft noch genesen ist, hat in diesen Einrichtungen nichts zu suchen.“ Das Gesundheitsamt komme nur ins Spiel, wenn es Zweifel an der Gültigkeit der vom Arbeitnehmer vorgelegten Nachweise gibt.

Staatsrechtler: „Verfassungsrechtlich problematisch“

Der Staatsrechtler Christoph Degenhart hält es für „wohl noch im Rahmen“, wenn ein Bundesland seine Gesundheitsämter anweisen sollte, zunächst keine Beschäftigungs- oder Betretungsverbote auszusprechen. Es sei aber „verfassungsrechtlich problematisch“, wenn ein Land so eindeutig der Intention eines Bundesgesetzes zuwider handle. „Dies widerspricht dem Grundsatz der Bundestreue.“

Volker Boehme-Neßler, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, sieht eine mögliche Verletzung der Bundestreue differenzierter. Wenn die Umsetzung dazu führe, dass sich die Pflegesituation in Bayern deutlich verschlechtere, widerspreche das Gesetz den Interessen des Bundeslandes. „In diesem Fall verletzt der Bund seine Pflicht zur Bundestreue. Der Bund kann nicht pauschal Gesetze durchsetzen, die wichtige Strukturen im Gesundheitswesen der Länder beschädigen.“

BSG-Präsident Schlegel betonte am Dienstag, dass nicht die Sozial- sondern die Verwaltungsgerichte für die Auslegung des Gesetzes zuständig sind. Zu Rechtsfragen, über die sie später eventuell selbst entscheiden müssen, dürfen sich Richter auch nicht derart offen äußern. Wenn der Gesetzgeber die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht mehr oder nicht jetzt wolle, müsse er das Gesetz aufheben oder sein Inkrafttreten verschieben, betonte Schlegel.

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Rahmengesetz zur Impfpflicht-Diskussion?

In der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht schlug der BSG-Präsident ein sogenanntes Rahmengesetz vor – „damit wir nicht in einem halben Jahr die Diskussion neu anfangen“. Ein solches Gesetz könne die Voraussetzungen festschreiben, unter denen, nicht nur in der Corona-Pandemie, eine allgemeine Impfpflicht zulässig ist. Je nach Entwicklung könne dies dann auf dem Verordnungswege „scharfgestellt“ werden.

Schlegel warb auch für die elektronische Patientenakte und befürwortete die laut Koalitionsvertrag geplante Umstellung von einer Opt-in- zu einer Opt-out-Lösung. Für die 78 Millionen Versicherten gebe es erst 430.000 mit elektronischer Akte. Diese könne aber die Behandlungen koordinieren, Doppeluntersuchungen vermeiden und zeige etwa nach einem Arztwechsel die Behandlungshistorie auf. (mit Material von dpa)

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