IT in der Arztpraxis
Branchenverband greift Schnittstellenvorgaben der KBV massiv an
Das Verhältnis zwischen IT-Herstellern und Kassenärztlicher Bundesvereinigung ist nachhaltig zerrüttet. Der bvitg wirft der Körperschaft nun „Machtmissbrauch und fehlende technische Kompetenz“ vor.
Veröffentlicht:Berlin. Die Archiv- und Wechselschnittstelle wird zum casus belli für den Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Am Freitag forderte der Verband nochmals, „dass Standards künftig von einer neutralen Instanz entwickelt und überwacht werden“ – und nicht von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Zugleich erneuerte der Verband die Kritik am Patientendatenschutzgesetz (PDSG), das vor gut einer Woche vom Bundesrat verabschiedet worden ist. In dem Gesetz wird der KBV die Möglichkeit eingeräumt, selbst digitale Innovationen zu entwickeln oder entwickeln zu lassen.
Stein des Anstoßes ist aber tatsächlich die besagte Archiv- und Wechselschnittstelle (AWS) – gekoppelt mit einem kleinen Vorfall bei der KBV-Vertreterversammlung im September: Dort sei bekanntgeworden, dass die KBV für selbst oder von einer KV entwickelte Software die von den anderen Marktteilnehmern geforderte Umsetzung der AWS eine Ausnahme machen will. Damit bestätige die KBV „das Scheitern ihrer eigenen Schnittstellenvorgaben“, heißt es vom bvitg.
„Diese Aussage spricht Bände, offenbart sie doch, dass die KBV selbst nicht von der Qualität ihrer Standards überzeugt ist“, kommentiert Sebastian Zilch, Geschäftsführer des bvitg, und legt nach: „Zudem zeichnet sich schon jetzt deutlich ab, wie die KBV ihre neue Doppelrolle als Selbstverwaltungsorgan und Marktteilnehmer zum eigenen Vorteil schamlos ausnutzen will.“ Der Verband fürchtet auf lange Sicht eine „Quasi-Monopolstellung der KBV“.
Der Systemwechsel soll für Ärzte erleichtert werden
Zwecks der Archiv- und Wechselschnittstelle ist es hauptsächlich, die Datenübertragung von einer Praxis-EDV in ein anderes zu ermöglichen. Das ist vor allem dann relevant, wenn eine eine Praxis vom einen System in ein anderes „umziehen“ möchte. Zudem sollen Praxen mithilfe der Wechselschnittstelle Patientendaten unabhängig von ihrem Praxisverwaltungssystem archivieren können.
Dass sich gerade an dieser Schnittstelle der Streit entzündet, ist durchaus pikant. Denn immer wieder sind Klagen wechselwilliger Ärzte bekannt geworden, wie aufwändig ein solcher Wechsel ist und wie teuer sich die Systemhersteller den Datentransfer teilweise bezahlen lassen. Genau hier soll die Schnittstelle ansetzen und einen Systemwechsel erleichtern.
Ebenso pikant wäre allerdings, wenn der Vorwurf stimmt, dass die KBV „bei einem möglichen eigenen Praxisverwaltungssystem auf den Einsatz der Schnittstelle verzichten würde“, so der bvitg.
Streit mit langer Vorgeschichte
Als der erste Entwurf für die Schnittstelle im Frühjahr 2019 vorgelegt wurde, so die Sicht des bvitg, habe der Verband mehr als 100 Kommentare eingebracht. Die Vorgaben seien „unsauber gearbeitet“ worden oder „machten wenig Sinn“, wie es heißt. Die Hauptdefizite seien in der später veröffentlichten AWS dennoch nicht angegangen worden.
Als die Hersteller dann versucht hätten, die Schnittstelle umzusetzen, habe es erwartungsgemäß Schwierigkeiten gegeben, woraufhin die KBV nochmals um Stellungnahme gebeten habe. Als die Hersteller dann darauf verwiesen hätten, dass die bereits abgegebenen Kommentare weiterhin gültig seien, habe die KBV ihnen Mangel an Kooperation vorgeworfen, erläutert der bvitg auf Anfrage.
Die neue Spezifikation sei dann etwas besser gewesen, die Fristen für die Umsetzung seien verlängert worden. Bis Ende 2020 soll die AWS nun umgesetzt werden, was immer noch „mühsam“ sei und „wenig konkrete Mehrwerte“ bringe.
Forderung nach Trennung der Verantwortlichkeiten
Aus diesem Anlass fordert der bvitg nun eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten bei der Spezifizierung, der Zertifizierung und dem Anbieten von Software. Dem Ende August veröffentlichten Konzeptpapier „Interoperabilität 2025“ folgend, sollte dafür eine neutrale Koordinierungsinstanz gesetzlich mit der Schaffung von Interoperabilität beauftragt werden. Der Forderung hatten sich damals auch die gematik und der health innovation hub des Bundesgesundheitsministeriums angeschlossen.
Eine solche Koordinierungsinstanz sei „mehr als überfällig, um wieder ein gesundes Gleichgewicht herzustellen“, betont der Branchenverband. Über das Papier hinaus sollte dann auch darüber diskutiert werden, „ob die bisher bei der KBV angesiedelten Medizinischen Informationsobjekte (MIO) nicht ebenfalls bei einer solchen Instanz besser aufgehoben wären“, meint Zilch.