Medizintechnikindustrie
Corona und Brexit hinterlassen in MedTech-Branche tiefen Spuren
Die deutsche Medizintechnikindustrie profitiert von der Coronavirus-Pandemie – wird aber auch von ihr gebeutelt. Hinzu kommt der britische Alleingang, ab 2021 das CE-Kennzeichen nicht mehr anzuerkennen.
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Um Beatmungsplätze für COVID-19-Patienten in Kliniken freizuhalten, wurden elektive Eingriffe auf unbestimmte Zeit verschoben. Dies führte zu einem verminderten Materialverbrauch, den die deutsche MedTech-Branche nun verkraften muss.
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Berlin. Im Vergleich zu anderen Branchen wirkt sich die gegenwärtige Corona-Pandemie nicht nur negativ auf die deutschen Medizintechnikunternehmen aus.
Wie die am Donnerstag in Berlin vorgestellte Herbstumfrage des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) unter seinen Mitgliedsunternehmen zeigt, verzeichnen 24 Prozent auch im Corona-Jahr Wachstum – im vergangenen Jahr waren es aber 70 Prozent. 20 Prozent verzeichnen Stagnation (2019: 17 Prozent), 56 Prozent erwarten einen Umsatzrückgang (2019: 13 Prozent).
Die Zahlen spiegeln nach Ansicht des BVMed-Vorstandsvorsitzenden Dr. Meinrad Lugan, wie dramatisch die MedTech-Branche von der im Zuge des Lockdowns erfolgten Verschiebung elektiver Eingriffe und den rückgängigen Arztbesuchen betroffen ist.
Diese Auswirkungen könnten auch bei weitem nicht durch den Mehrbedarf an medizinischer Schutzausrüstung und Hygieneprodukten kompensiert werden.
Vor allem KMU betroffen
Aus den gewichteten Umsatzangaben der BVMed-Unternehmen ergibt sich im deutschen Markt ein durchschnittlicher Umsatzrückgang von minus 2,1 Prozent. Der ungewichtete Wert liegt sogar bei minus 4,9 Prozent. Das zeige, dass die kleineren Unternehmen (KMU) stärker von den Rückgängen betroffen sind.
Unternehmen mit einem Umsatz unter 25 Millionen Euro verzeichneten im Schnitt sogar einen Umsatzrückgang von minus 6,4 Prozent. Hinzu komme, dass auch der Export – knapp zwei Drittel der produzierten Waren der Branche gehen in den Export – leidet.
Die erwartete weltweite Umsatzentwicklung falle mit einem durchschnittlichen Minus von 4,7 Prozent noch schlechter aus als die Inlandsentwicklung.
Implantate-Bereich besonders betroffen
Eine Einzelauswertung nach Produktbereichen zeige, dass vor allem der Implantate-Bereich mit minus 7,9 Prozent sowie OP-Produkte und OP-Sets mit minus 6,7 Prozent von den Corona-Folgen betroffen sind.
Sehr unterschiedliche Auswirkungen hat das Corona-Krisenjahr auf die Investitionstätigkeit der Branche. Immerhin 21 Prozent der Unternehmen erhöhen laut Umfrage ihre Investitionen am Standort, beispielsweise durch den Aufbau neuer Produktionskapazitäten für medizinische Schutzprodukte in Deutschland. Auf der anderen Seite geben 29 Prozent der Unternehmen an, ihre Investitionen am Standort gegenüber dem Vorjahr verringern zu müssen.
Kurzarbeit lässt Unternehmen Fachkräfte halten
Als große Stärken des Standorts Deutschland nennen die befragten MedTech-Unternehmen vor allem die gut ausgebildeten Fachkräfte sowie die gute Infrastruktur. Immerhin 38 Prozent der Unternehmen nutzen das Instrument der Kurzarbeit, um die Entlassung ihrer Fachkräfte zu vermeiden. Häufig genannte Stärken sind zudem das hohe Versorgungsniveau der Patienten und gut ausgebildete Ärzte, Wissenschaftler und Ingenieure.
Das beherrschende Thema bei der Frage nach den Hemmnissen für die MedTech-Entwicklung bleibt die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung MDR, deren Geltungsbeginn Corona-bedingt um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 verschoben wurde.
81 Prozent der befragten BVMed-Unternehmen sehen die zusätzlichen MDR-Anforderungen als größtes Hindernis für die künftige Entwicklung der Medizintechnologie-Branche. Dabei gehe es vor allem um die Pflicht zu umfassenden klinischen Daten und um längere Konformitätsbewertungszeiten durch Ressourcendefizite bei den für die Zertifizierung zuständigen Benannten Stellen.
56 Prozent der MedTech-Unternehmen sprechen sich für eine vereinfachte Neuzertifizierung für bewährte Bestandsprodukte unter der MDR aus. Über ein Drittel der Unternehmen wünscht sich Förderprogramme für KMU zur Umsetzung der MDR.
Neues Ungemach droht
Nun droht den eh schon MDR-gebeutelten kleineren Unternehmen neues Ungemach. Wie Lugan berichtete, erkenne Großbritannien im Zuge des Brexit ab 2021 keine CE-Kennzeichen mehr an.
Sämtliche Unternehmen, die ihre Medizinprodukte weiter im britischen Markt vertreiben wollten, müssten die Zertifizierung eines nicht näher spezifizierten CA-Kennzeichens durchlaufen – Lugan rechnet damit, dass viele KMU mit ihren Medizinprodukten damit nicht mehr auf dem Markt verbleiben werden im Vereinigten Königreich.
Neben dem vorherrschenden Thema MDR stehen auf der gesundheitspolitischen Agenda eine Verkürzung der Dauer der Bewertungsverfahren und eine generell ermäßigte Mehrwertsteuer für Medizinprodukte.
Zugpferd Digitalisierung
Wie die Herbstumfrage weiter offenbart, spielt die Digitalisierung für die deutsche Medizintechbranche eine immer wichtigere Rolle. So gaben 39 Prozent der MedTech-Unternehmen an, bei der Entwicklung digitaler Lösungen bereits mit Start-ups zusammenzuarbeiten – im vergangenen Jahr waren es erst 31 Prozent.
Das größte Potenzial bei den digitalen Technologien sehen die Unternehmen in Datenanalysen, Apps, Big-Data-Anwendungen und Künstlicher Intelligenz.
Als die innovativsten Indikationsbereiche – und damit die stärksten Innovationstreiber in der Branche – bewerten die MedTech-Unternehmen an erster Stelle mit 36 Prozent die Kardiologie, gefolgt von der Diagnostik (29 Prozent), der Onkologie (27 Prozent), der Neurologie (25 Prozent) und der Chirurgie (19 Prozent). Die Rote Laterne geht hier an die Nephrologie mit nur drei Prozent).